die Deutsche Literatur
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Börnes Anschauungen und seine Stellung in der Literaturgeschichte
SHIGERU MORITA
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1977 Volume 58 Pages 16-25

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Ludwig Börne widmete sein ganzes Leben der Kritik. Mit dem Witz vom "demokratischen Prinzip im Reiche des Geistes“ kritisierte er die Gesellschaftsordnung der Restaurationsperiode und den "Despotismus des Ruhmes“. Börne behauptete, es gehe um die Vereinigung des Lebens, der Kunst und der Wissenschaft und um die Beseitigung der brutalen fürstlichen und kaiserlichen Institutionen. Er kämpfte heftig gegen den chauvinistischen Patriotismus à la Menzel und für die Verständigung zwischen den Völkern, insbesondere zwischen den Deutschen und den Franzosen. In diesen Kämpfen konnte er die charakteristischen Vorstellungen der deutschen Spätromantik überwinden, nicht jedoch die der christlichen Religion. Börne, der schon lange den "Despotismus des Ruhmes, die Religion Schiller und Goethe“ kritisierte-Goethe sei ein Stabilitätsnarr und Schiller ein noch schlimmerer Aristokrat-, übte nun auch von seinem katholisch-asketischen Standpunkt aus strenge Kritik an den Dichtern Goethe, Hugo, Gutzkow usw. Börne glaubte, die Religion und dieS ittlichkeit seien eine Stütze der Freiheit, so daß ein ungläubiger und unmoralischer Mensch in seinen Augen ein Verleumder und Verleugner der Freiheit zu sein schien. Goethe konnte Börnes Kritik mißachten, während Heine, ein kritischer Nachfolger Goethes, seinem politisch gleichgesinnten alten Freund widersprechen mußte, weil er, ein Pantheist von der heiteren Observanz, auch in Börnes Kritik an ihm die Absicht erkannte, den hellsichtigen Pantheisten in die unästhetische, obskure Dunkelheit der Kirche einzusperren. In seiner "Denkschrift Ludwig Börne“ kritisierte der Pantheist Börnes Auffassung, indem er sein Hellenentum gegenüber dem Nazarenertum Börnes hervorhob, um seine eigene unabhängige, politisch-dichterische Weltanschauung dem Publikum zu zeigen. Börne und Heine als Vorbereiter der jungdeutschen und Vormärz-Literatur können, obwohl beider Naturell ganz verschieden ist, wegen ihres Subjektivismus und ihres politischen Engagements der europäischen Romantik zugeordnet werden.
Bei der Einschätzung der Werke der jungdeutschen Autoren unter Einschluß von Börne, Kühne u.a. muß man aber aus folgenden zwei Gründen sehr vorsichtig sein; erstens weil sie, nur im Rahmen der deutschen Literatur beurteilt, bisher oft nur geringgeschätzt, nicht beachtet, oder sogar totgeschwiegen wurden, zweitens weil Ludolf Wienbarg, der Theoretiker der Bewegungsliteratur, in seiner Abhandlung "Goethe und die Welt-Literatur“ folgendes behauptet: "Ähnliche Ursachen bringen ähnliche Wirkungen hervor; ähnliche sittliche und gesellschaftliche Zustände ähnliche Literaturen.“ Dieses Zitat deutet an, daß Wienbarg schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Notwendigkeit beziehungsgeschichtlicher Untersuchungen der Literatur vorausgesehen hat. Und da er den Schriftsteller als ein Kind seiner Zeit ansieht, vertritt er die Ansicht, daß eine bestimmte Literatur in ihrem lebendigen Verhältnis zu den anderen Literaturen der Epoche aufgefaßt und deren Erscheinungen mit Rücksicht auf Wirkung und Wechselwirkung verfolgt werden sollten. Damit steht er auf dem gleichen oder vielleicht höheren Niveau als R. Rosenberg, der in seiner Abhandlung "Vormärz und Komparatistik“ (Weimarer Beiträge, Jg. XXI, Nr. 2, 1975) sagt, daß "Beziehungsforschung“ und "typologische“ Untersuchungen einander ergänzen sollten. Andrerseits kann man sagen, Wienbarg habe einen Grundstein für die Theorie der sogenannten Rezeptionsästhetik gelegt.
Börnes Werk kann erst dann in angemessener Weise gewürdigt

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