In Schnitzlers Casanovanovelle sehnt sich der 53 jahrige Held ungeduldig nach Heimkehr in seine Heimatstadt Venedig, aber die Erwahnung Marcolinas, einer Verwandten Olivos, lockt ihn sogleich auf dessen Gut, wo er sie unbedingt kennenlernen will. Dabei stellt er sich die noch nicht gesehene Marcolina hinter einem Fenster halbnackt in ihrem Bett liegend vor: das Fenster bildet namlich den Rahmen seiner lustemen Vorstellungen. In dieser Novelle werden dann wiederholt Fenster im Zusammenhang mit Casanova oder Marcolina erwahnt. Bei Marcolina ist das Fenster des EBsaals der Ort, an dem wir ihre Stimme, in der die Angst um Lorenzi mitschwingt, horen. Den Namen Marcolina hat Schnitzler ubrigens aus Casanovas Memoiren, und die Marcolina dort ist die von Casanova verfuhrte Geliebte seines Bruders und spielt beim betrilgerischen Wiedergeburtsritual der Marquise dUrfe die Rolle der Beihilfe leistenden Nixe. In dieser Novelle ist es Casanova selbst, der einer Wiedergeburt bedurftig ist. Am Fenster von Marcolinas Zimmer, wo ihr Bett steht und ihr Kleid liegt, geht Casanova dann einigemal vorbei und blickt immer hinein. Das wirklich gesehene Fenster kehrt dann in seiner Phantasie als Rahmen eines Bildes wieder: die nackte Marcolina am offenen Fenster. Das Fenster ist zwar eine Offnung, durch die das Licht einfallen, aber auch ein Liebhaber einund ausgehen kann; es wird jedoch ein underchdringlicher Schutzapparat gegen die Aussenwelt, wenn es geschlossen und ausserdem mit Vorhang und Gitter versehen ist. Das Fenster Marcolinas bleibt Casanova verschlossen, Lorenzi, einem 30 Jahre jungeren Casanova wird as aber geoffnet. Marcolina, die man eine geistige Tochter Voltaires und auch des einstigen Casanova nennen konnte, ist eine hochintelligente, aufgeklarte und selbstandige Madchen-Frau, die ihre sexuelle Lust versteckt, aber nicht verneint. Casanova nennt sie im Rausch der Vereinigung die Jungste, die Schonste, die Klugste. Ubrigens ist Voltaire ein Name, gegen den Casanova schriftstellerisch ankampfen will, um seinen eigenen Namen als Schriftsteller beruhmet zu machen. Cassanovas Name als Abenteurer, die ihm verbliebene letzte Zauberkraft, wirkt namlich auf Marcolina und ihre Generaton nicht mehr. Casanovas List, sich unter Lorenzis Mantel und Namen in ihr Zimmer durchs Fenster einzuschleichen und sich mit Marcolina zu vereinigen, gelingt aufgrundn Lorenzia Zustimmung, sie bewirkt jedoch keine wirkliche Verjungung oder Wiedergeburt, sondern sie bedeutet einen Identitatsverlust fur ihn: er tritt im Dunkeln ja nicht als Casanova, sondern als Lorenzi auf, er nennt sich nicht, auch wenn er in der Extase seine halbgottliche "begluckt-begluckende" Manneskraft wiederzuerlangen wahnt. Das Fenster verrat ihn doch schliesslich durch einen Spalt, der das Licht der Dammerung ins Zimmer hereinlasst und seine Wirklichkeit - sein Altsein - dem Blick Marcolinas, der auch sein eigener ist, blossstellt. Diese die Wirklichkeit exponierende Funktion des Fensters findet sich schon vor dieser Szene, als Casanova den ihn deprimierenden und beleidigenden Brief Bragadinos aus Venedig liest. Dagegen sitzt er mit dem Rucken zu Fenster und Licht, als er seine List ersinnt. Nach dem Duellmord an Lorenzi, der eine doppelte Selbstzerstorung ist, flieht er nach Venedig zuruck. Dort angekommen besucht er Bragadino und fruhstuckt mit ihm, wobei seine Position in Bezug auf das geoffnete Fenster nicht erwahnt wird; das Fenster dient hier hauptsachlich als Organ des Gehors: verschiedene Stimmen von Strassen kommen durch es herein. Das entspricht der Rolle Casanovas als Spion, er muss jetzt die Stimmen der venezianischen Burger horchen. Dabei dient sein Name als Tarnung seiner Absichten. Dieser ohnehin schon leere Name ist nun von der Regierung Venedigs vereinnahmt. Was Casanova noch bleibt, ist sein geniales Gedachtnis und seine Sprache: er wird nur dann wiedre jung, wie der text wiederholt betont, wenn er sich an
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