In diesem Aufsatz bin ich auf die politischen Gelegenheitsgedichte des jungen Keller des Vormärz (besonders 1843 bis 1848) eingegangen. Ich denke, Keller ist als Lyriker nicht so bekannt wie als Novellist oder als Romandichter. Aber 1843 nach seiner Rückkehr aus München in die Heimat beginnt Keller seine Laufbahn als Lyriker, während deren er sein Leben lang viele schöne Gedichte verfaßt hat.
Der junge Keller, der von der Zeit
"mit eisernen Armen ergriffen“ und von dem
"Ruf der lebendigen Zeit geweckt“ wurde, als der Sturm der Revolution, der 1789 in Frankreich begann und 1848 vorläufig endete, ganz Europa erfaßte, machte viele politisch-soziale Gedichte, sogenannte Gelegen-heitsgedichte, die die Zeitgeschichte als Anlaß und Stoff der Dichtung verwenden.
Wenn Keller sagt, daß sich der Dichter
"mit den großen Welt-Fort- oder Rückschritten“ beschäftigen muß,
"mit den ernsten Lebensfragen, die die Menschheit bewegen“, begreift er, was er, gerade als Dichter, in einer Gesellschaft, in der
"alles Politik ist“, tun soll, welche Position er einneh-men soll.
Er schreibt in seinem Tagebuch an einer anderen Stelle, das Pathos der Parteileidenschaft sei eine Hauptader seines Dichtens.
Es ist kein Zufall, daß Kellers erste Veröffentlichung das Gedicht
"Jesuitenlied“ ist, das sich auf die politisch-religiösen Kämpfe gegen die aristokratisch-katholische Regierung in Luzern bezieht.
Bedeutenden Gewinn erfährt der junge Keller auch durch seinen freund-schaftlichen Kontakt mit deutschen Emigranten, vor allem Georg Herwegh und Ferdinand Freiligrath, die man wohl als die größten Dichter des Vormärz bezeichnen kann.
In einer autobiographischen Skizze bemerkt Keller, er habe eines Morgens den ersten Band der Gedichte Herweghs aufgeschlagen und gelesen -da habe ihn der neue Klang
"wie ein Trompetenstoß ergriffen, der plötz-lich ein weites Lager von Heervölkern aufweckt.“ In den freundschaft-lichen Gedichten
"An Herwegh“ und
"An Freiligrath“ preist Keller sie nicht nur als Freunde, sondern auch im Geiste des politisch Gleichgesinnten. Wie Freiligrath dichtet auch Keller
"Ça-ira!“, wie das Schlagwort der revolutionären Zeit hieß.
Aber hinsichtlich der politischen Anschauungen gibt es einen wesent-lichen Unterschied zwischen Keller einerseits und Herwegh und Freiligrath anderseits. Dieser Unterschied ist wohl in der Frage begründet, ob Klassen-bewußtsein erworben wird oder nicht.
Keller besitzt kein Klassenbewußtsein, während sowohl Herwegh als auch Freiligrath schon einiges Klassenbewußtsein erworben hatten.
Kellers Weltanschauung und damit auch Dichtungen sind, ob nun im guten oder im schlechten Sinne, zutiefst von der schweizerischen urwüchsigen Demokratie bestimmt.
Er bleibt durchaus ein Bekenner der schweizerischen demokratischen Idee und ein kleinbürgerlicher Liberaler, anderseits aber dichtet er aus der Erkenntnis:
"Heute ist alles Politik und hängt mit ihr zusammen, von dem Leder an unserer Schuhsohle bis zum obersten Ziegel am Dache, und der Rauch, der aus dem Schornsteine steigt, ist Politik“, und weiter“ der Dichter soll seine Stimme erheben für das Volk in Bedrängnis und Not.“ Darin erweist sich ohnc Zweifel, daß Keller der
"l'art pour l'art“-Poesie entge-gentritt und fest überzeugt ist, daß sich die Dichtung mit der Wirklichkeit ihrer Zeit eng verbinden muß.
Viele hochbedeutende politisch-soziale Gedichte des jungen Keller der Vormärzzeit,
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