Seit Benno von Wiese auf den zeichenhaften Charakter der Erzählung
"Die Amsel“ verwiesen hat, setzte eine lebhafte Diskussion über dieses Werk ein. Aber bisher ist das Hauptmotiv höchstens mit dem Gegensatz-Diagramm
"ratioïdes Gebiet“ und
"nicht-ratioïdes Gebiet“, das Musil in
"Skizze der Erkenntnis des Dichters“ darstellte, in Verbindung gebracht worden (K. Eibl, U. Baur), oder mit der psychischen Krankheit der Hauptperson oder mit der Musils selbst (F. Krotz, U. Baur), und nur einmal mit seiner Intention auf eine andere Wirklichkeit (M.-L. Roth). Es scheint so etwas wie eine fixe Idee zu geben, daß die Integration der Ratio und der Mystik, der Vernunft und des Gefühls, Musils Aufgabe sei. Ist eine andere Interpretation nicht möglich?
"Die Amsel“ entsteht in der Zeit der Niederschrift des ersten Buchs des Romans
"Der Mann ohne Eigenschaften“; ich versuche deshalb hier,
"Die Amsel“ als ein Werk zu betrachten, in dem die eigentümlichen Leitbegriffe des Romans:
"Wirklichkeitssinn“ und
"Möglichkeitssinn“ kompositionsleitend geworden sind und in dem der
"Möglichkeitssinn“ das Hauptmotiv ist.
Mit dem
"Wirklichkeitssinn“, der sich auf die Gegenständlichkeit der Wirklichkeit bezieht, hat man besonders in der Zeit des Rationalismus versucht, die menschliche Wirklichkit als etwas Festes und Eindeutiges zu bestimmen; dagegen ist der
"Möglichkeitssinn“, der eine Intention auf eine gewisse Unwirklichkeit enthält, vernachlässigt worden. Diese Unwirklichkeit ist zwar nicht wirklich gegenständlich gegeben, aber sie kann im Erleben gegenwärtig werden. Solche Beispiele sind in der
"Amsel“ ausdrücklich geschildert: als drei Erlebnisse eines sonderbaren Erwachens. In den Erlebnissen wird der
"Wirklichkeitssinn“ des erlebenden Subjekts zum
"Möglichkeitssinn“ umgewandelt.
In den ersten zwei Erlebnissen ist es ein transzendenter Ton, der ein sonderbares Erwachen des Subjekts hervorruft. Durch die Passivität gegenüber dem Ton spürt es den aktivierten
"Möglichkeitssinn“ und sogar
"Gottes Nähe“ in der Nähe seines Körpers.
"Weshalb sollte nicht jetzt geschehen, was sonst nie geschieht?“ -das ist die Formel, die den Gehalt des Erwachens umreißt. Und auch wenn das Subjekt vom Erwachen zum alltäglichen Lebenszustand zurückkehrt, verliert es nie den im Erwachen gewonnenen Sinn und sieht die Wirklichkeit als etwas Fades und Fremdes an. Im dritten Erlebnis ist es die Mutter des Subjekts, die es in einen passiven, unsicheren, zu unwirklichen Möglichkeiten hin geöffneten Zustand setzt; denn die Mutter hatte ein Bild des Sohns, dem das Subjekt nie wirklich entsprach, das jedoch in gewissem Sinn sein
"Schöpfungsbefehl“ oder seine
"Urkunde“ war, festgehalten und ist für ihren Sohn, genauer gesagt für das Bild,
"freiwillig“ gestorben. Unser Leben ist eigentlich ein Geschenk unserer Eltern, und eben in dieser Tatsache steckt
"ein Schatz von Unregelmäßigkeit und Unberechenbarkeit“. Das Subjekt, das im Angesicht des Todes der Mutter den aktivierten
"Möglichkeitssinn“ in sich fühlte, entschloß sich, fortan immer im Kontakt mit diesem Sinn zu leben.
Charakteristisch ist für den Zustand des Erwachens, daß der Körper des Subjekts dem transzendenten
"Signal“ gehorsam ist, und daß er gleichzeitig von der irdischen Gefangenschaft befreit wird. In der Natur des Körpers gibt es sonach etwas Überirdisches.
抄録全体を表示