Die
"am schwersten verständliche“ Novelle besteht aus einigen Paradoxa und viel seltsamem Verhalten der Heldin Claudine. Einiges könnte man erklären, wenn man auf das Bild
"Kugel“ unter ca. einem Dutzend wiederholt erscheinender Bilder aufmerksam wird: Kugel oder Kreis als die Zone der Eigenliebe.
In der Straßenszene, die als Erinnerung Claudinens gegen Ende der Novelle erscheint und daher wichtig scheint, zeigte jeder der Männer, die mit ihren Frauen bürgerliche Alltäglichkeiten erledigten,
"vollkommene Würde“ und
"Gleichgewicht“. Überall waren
"kleine wirbelnde Mittelpunkte, mit einem Kreisen um sich, einer nach innen sehenden Bewegung…“
Nach Musil ist
"das Wertgefühl ein Herausheben, sich als das Zentrum empfinden“. Es ist eine unbewußte, aber unvermeidliche Taktik des Lebens, um sich einen Kreis zu bilden, innerhalb dessen man immer sein Echo hört und der Gegenwart Lebendigkeit verleiht, was trotz dichtem Nebeneinander Mann und Frau in der Ehe ermöglicht, ohne Verletzung des Wertgefühls als
"ein ganzer Mensch“ zufrieden zu koexistieren.
Dessen wurde Claudine gewahr. Deshalb beobachtete sie auf dem Spaziergang mit dem Fremden
"die Gewalt, die von dem alltäglichen Menschen“ ausgeht, die die Umgebung und sie selbst wie in Fensterscheiben verzerrt.
In der vergangenen Nacht, in der sie eine Art Fridigität befiel, als sie sich des unüberwindbaren Risses zwischen sich und ihrem Ehemann wegen der Einsamkeit des
"Gehirns“ bewußt war, wollte sie ihn
"in mich zurückreißen… und dann wieder wegstoßen“, weil sie wieder in seinen Kreis treten wollte, aber sich seiner entschlagen mußte. Ähnlich wollte sie in der Schlußszene den Fremden
"küssen und dann wieder zurückspringen“, um zu sehen, wie sich die Welt und ihr Dasein innerhalb und außerhalb seines Kreises veränderte.
Den Anlaß, den Ekel zu überwinden, den ihr die Vorstellung erregte, einem anderen zu gehören, gab ein kleiner Teppich am Fuß des Bettes. Indem sie sich auf diesen ekelerregenden Teppich warf, der voll vom Geruch fremder Haut war, überwand sie ihren Ekel und ihr Geschlossensein,
"als strömte die Eigenliebe aller dieser Menschen in sie herüber“. In der großen Eigenliebe konnte sie spüren, wie der Fremde sich liebte,
"als ob es ihr eigenes Gefühl wäre.“
Ihre fast vergessene elende Vergangenheit, in der sie ganz unter der Herrschaft verschiedener Männer war, wollte sie revidiern, weiel sie schon wußte, daß eine Vergangenheit, die jenseits jener abgründigen Sekunde des Verblassens liegt, nur entsteht, wenn der Kreis der Eigenliebe weggerollt ist.
In ihren seltsam
"von den übrigen abgeschnittenen“ drei Tagen, die fast wie vertikal abseits von ihrem Lebensweg standen, konnte sie sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft auf einmal übersehen.
Das Paradox, daß sie und ihr Ehemann schon vor ihrer Begegnung
"einander untreu waren“ und zugleich
"einander liebten“, versuchte sie durch Wiederholung der Untreue zu lösen. Eigentlich hatte sie schon lange bei jeder Affäre das Bewußtsein von der
"fern begleitenden Innerlichkeit“, daß alles
"sie im Grunde nicht berühre“. Jetzt konnte sie sich vom Sein des
"in einer geschehensleeren Innerlichkeit Zueinandergehörens“ überzeugen, und mit diesem Bewußtsein wollte sie die Vergangenheit wieder-holen und so revidieren,
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