Hebr 2,9, wo vom Kreuzestod Jesu die Rede ist, liegt ein altherbekanntes textkritisches
Problem vor. Hat nämlich Jesus den Tod geschmeckt „durch Gottes Gnade“ oder „ohne
Gott“? Die meinsten wichtigen Handschriften bezeugen die erste Lesart χάριτι θεοῦ. Wenn
man aber die Zeugnisse der Kirchenväter beachtet, kommt man zu einem anderen Ergebnis.
Denn die zweite, auch schwierigere Lesart χωρὶς θεοῦ muss von sehr früh an verbreitet gewesen
sein. Die letzte Lesart ist nicht nur textkritisch wahrscheinlicher, sondern sie hat auch
einen guten Sinn im Rahmen der Christologie von Erniedrigung und Erhöhung, die für Hebr
charakteristisch ist. Zum Moment der Erniedrigung gehören die Aussagen wie: Jesus sei
den Menschen gleichgeworden, um Hohenpriester zu werden (2,14.17); im großen Schrei
und mit Tränen flehte er Gott eine Errettung aus dem kommenden Kreuzestod an (5,7); er
musste aber schließlich “außerhalb des Tores” (13,12) das Todesleiden auf sich hinnehmen.
Zum Moment der Erhöhung gehört vor allem: Jesus sei jetzt in den Himmel erhöht worden
und als Hohepriester vor dem Angesicht Gottes erschien (9,24). Nach der Auffassung des
Briefautors ist also nicht bloß einer, der in den Himmel hinauf erhöht wurde und jetzt zur
Rechte Gottes sitzt, sondern gerade jener Jesus, der das Todesleiden „ohne Gott“ erlitten
hat, ist als solcher, der die Menschen zu erlösen fähig ist, der Hohepriester.
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