Es ist nur erst seit dem Jahre 1958, daß die Fr. Schlegel-Forschung im strengen Sinne in Gang gekommen ist; in diesem Jahre hat die Veröffentlichung der, Kritischen-Friedrich-Schlegel-Ausgabe‘ begonnen, worauf die neue Fr. Schlegel-Forschung von heute gegründet ist.
Die Geschichte der Aufnahme der, Lucinde‘ scheint nun ein solches Schicksal der Fr. Schlegel-Forschung zu symbolisieren. Schon von Anfang an erfuhr dieser einzige Roman Fr. Schlegels heftige Kritik und Ablehnung; man verurteilte ihn als Buch des Lasters wegen seines scharfen Angriffes auf die damalige Moral der Liebe oder wegen seiner kühnen Schilderung des Sinnlichen. Freilich gab es auch die Stimmen der Verteidigung. Schon im Jahre nach dem Erscheinen der, Lucinde‘ veröffentlichte Fr. Schleiermacher die, Vertrauten Briefe‘, die von seinem tiefen Verständnis für den sittlichen Wert dieses Romans zeugten, und darauf sprachen auch Bernhard Vermehren und Fr. Ast für ihn. Aber wie konnten diese wenigen die allgemeine Lage beeinflussen? Das allgemein vernichtende Urteil über die, Lucinde‘ währte in der nächsten Periode weiter. Im Jahre 1870 wurde es von W. Dilthey und R. Haym zum ersten Male wissenschaftlich begründet. Auf diese Weise haben etwa hundert Jahre lang die Urteile Diltheys als
"schamlose Sinnlichkeit“ oder
"ästhetisch betrachtet ein kleines Ungeheuer“ und Hayms als
"ein ästhetischer Frevel“ oder
"zugleich ein moralischer Frevel“ einen entscheidenden Einfluß auf die Auslegungen des Werkes ausgeübt. Inzwischen ist freilich erwiesen, daß diese Urteile der beiden als solche nicht mehr gelten können. Dieser Erweis wurde hauptsächlich durch die neue Fr. Schlegel-Forschung erbracht. Wie ist also heute die, Lucinde‘ aufzufassen?
Zunächst sind Stoff oder Gegenstand dieses Romans die Bekenntnisse des
"ungeschickten“ Helden Julius bezüglich der Historie seiner Liebe zu Lucinde und der
"Lehrjahre“ seiner
"Männlichkeit“, wie der Nebentitel des Werkes zeigt. Die Absicht des Verfassers liegt aber nicht in
"breiter behaglicher Erzählung“ dieser Liebesgeschichte, wie Dilthey erwartet hat; er will vielmehr
"das schönste Chaos von erhabenen Harmonien und interessanten Genüssen nachbilden und ergänzen“, die jene Liebeserfahrung dem Julius geschenkt hat. Nun bedeutet aber die Liebe zwischen Julius und Lucinde keine bloße Sinnenliebe. Das kann man schon aus den Worten
"erhabene Harmonien“ vermuten. Zum Beispiel in der Anfangsszene des ersten Kapitels, wo das Sinnliche scheinbar stärker hervortritt, macht das Geistige doch den Grundton aus. Julius sagt nämlich:
"Alle Mysterien des weiblichen und des männlichen Mutwillens schienen mich zu umschweben…Witz und Entzücken begannen nun ihren Wechsel und waren der gemeinsame Puls unseres vereinten Lebens; wir umarmten uns mit ebensoviel Ausgelassenheit als Religion“. Hier ist schon der Gedanke von der auf der Einheit von sinnlicher und geistiger Liebe beruhenden wahren Liebe angedeutet, der das Thema des Werkes ist.
Wie ist nun die Form, die dieser Stoff annimmt? Schon im ersten einleitenden Kapitel behauptet Julius, daß er gleich anfangs die sogenannte
"Ordnung“ vernichten und
"das Recht einer reizenden Verwirrung“ ausüben wolle. Diese Behauptung von Julius zeigt eine kompositorische Besonderheit der, Lucinde‘. Der Roman besteht nämlich aus einem erzählerischen Mittelstück,
"Lehrjahre der Männlichkeit“, das fast ein Drittel des Ganzen ausmacht, und aus 12 kürzeren Abschnitten verschiedener Formen von Briefen, Fantasien, Allegorien, Dialogen und
抄録全体を表示