Die hier vorgelegte sprachhistorische Arbeit stellt syntaktische Veränderungen und semantische Verschiebungen im Gebrauch der Modalverben während der frühneuhochdeutschen Sprachperiode dar. Als textliche Grundlage der Untersuchung wurde eine Anzahl repräsentativer Schriften dieser Periode herangezogen, vornehmlich die Daniel-Synopsis in sechs deutschen Übersetzungen des 14. bis 16. Jahrhunderts sowie die Lutherbibel von 1545 und ihre späteren Revisionen.
Gegenüber dem Mittelhochdeutschen lassen sich im syntaktischen Bereich folgende Veränderungen bei der Verwendung der Modalverben im Frühneuhochdeutschen feststellen:
a. Die Auflösung der im Mittelhochdeutschen gebräuchlichen Kombination von mac/kan mit nachstehendem ge-Kompositum.
b. Die Neuentwicklung eines periphrastischen Tempussystems, bei dem das Modalverb in den Formen des Futurs und des Perfekts eine dominierende Rolle spielt.
Die hier genannten Änderungen sind, einschließlich einer zunehmenden Funktionsverblassung des Präfixes ge-, in den meisten Dokumenten des 14. bis 15. Jahrhunderts zu belegen, wobei ihre Häufigkeit derjenigen der noch aus dem Mittelhochdeutschen überkommenen Formen ungefähr entspricht. Gleichzeitig mit dem Schwund dieser älteren Formen in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts beginnt die Ausbreitung des neuen Tempussystems, welches gegen Anfang des 16. Jahrhunderts bereits feste Wurzeln gefaßt hat.
Die umschreibenden Formen des Perfekts (, Ich habe... bringen müssen‘) werden, so bei Luther, zunächst oft aus stilistisch-rhythmischen Gründen bevorzugt, während sie sonst, etwa als Irrealis im Konjunktiv des Plus-quamperfekts (, Andernfalls hätte er... leiden müssen‘) eindeutig auf logisch-grammatischer Ebene fungieren. Die Durchsetzung dieser Formen ist gerade deshalb so bemerkenswert, weil sie die Funktion des Modalverbs in Verbindung mit dem Infinitiv Perfekti in Richtung auf den heutigen Sprachgebrauch hin fixiert hat.
Was die neuen futurischen Formen anbetrifft, so werden sie in geringerem Umfang gebraucht. Dabei kann, werden‘ zusätzlich als Ausdruck einer Vermutung dienen und damit eine Satzaussage in zweifacher Weise modifizieren, -Beispiel:, Er wird wiederkehren müssen‘.
Der mit dem Wechsel ihrer Funktionen einhergehende mannigfaltige Bedeutungswandel unter den einzelnen Modalverben im Frühneuhoch-deutschen läßt sich zu einem Teil unter folgenden Gesichtspunkten einordnen und klären:
a.
EntlastungDer allgemeinere Gebrauch des Futurs mit, werden‘ im Satz ohne Modalverb führt zur Entlastung der älteren Rolle von, müssen, sollen, wollen‘. Eine relativ häufige Verwendung von, sollen‘ zur Umschreibung des Futurs beschränkt sich auf spezifische Textsorten, insbesondere die Bibel. Bei weitem seltener wird, wollen‘ als Ausdruck des Futurs benutzt, etwa da, wo es der Vermeidung des zweimaligen Gebrauchs von, werden‘ dient.
b.
VerteilungIm Sinne von, vermögen‘ erweisen sich, können‘ und, mögen‘ zwar gleichermaßen legitim im Wortgebrauch, doch setzt, können‘ sich in diesem Sinngehalt gegenüber, mögen‘ immer mehr durch, welches dann in den bereits im Mittelhochdeutschen beginnenden, vielfältigen Nuancierungen seiner Bedeutung einen weit umfänglicheren Geltungsbereich findet.
c.
AusgleichDer Funktionsausgleich zwischen, dürfen‘ und, türren‘' zugunsten des ersteren beruht keineswegs auf der Konkurrenz ihrer Grundbedeutungen, (, nötig haben‘-, wagen‘), sondern auf dem faktischen Zustandekommen einer sekundären Bedeutungsgemeinschaft von beiden mit dem Sinngehalt:, Erlaubnis haben‘, , berechtigt sein‘.
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