Als Meisterwerk der sogenannten,
"expressionistischen“ Architektur gilt der Einstein-Turm, der von dem Architekten Erich Mendelsohn entworfen und am Anfang der 20er Jahre in Potsdam gebaut wurde. Vor dem Ersten Weltkrieg war Mendelsohn mit dem Astrophysiker Dr. Erwin Freundlich befreundet, der 1917 dem jungen Architekten auftrug, ein Observatorium zu errichten, das der experimentellen Prüfung der allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins dienen und gleichzeitig ein Denkmal für diese Theorie sein sollte. Noch als Soldat beschäftigte sich Mendelsohn mit dem Entwurf und fixierte dazu viele Ideen in kleinen Skizzen.
Nicht nur assoziieren diese Visionen die Form eines Unterseeboots, sondern auch das Spiegelsystem des Turmteleskops entspricht dem Periskop eines U-Boots. Die vollständige horizontale Symmetrie des Gebäudes verstärkt den Eindruck seiner virtuellen Bewegung.
Mendelsohn bezeichnete den Einstein-Turm als architektonischen Organismus, dem man keinen Teil fortnehmen kann, ohne das Ganze zu zerstören. Mit der Geschlossenheit der Außenform, die eine kontinuierliche Oberfläche erzeugt, zeigt dieser Turm eine architektonische Übersetzung der Feldtheorie Einsteins. Damit versuchte Mendelsohn, das Raum-Zeit-Konzept der Relativitätstheorie visuell erfahrbar zu machen. So wie Etienne-Louis Boullée sich bei seinem Newton-Kenotaph von 1784 auf das Weltbild Newtons bezieht, so bezieht sich Mendelsohn auf Einstein.
Mendelsohn strebte dabei den Ausdruck der Bewegung der den Baustoffen-besonders Eisen und Beton-innewohnenden Kräfte an, den er
"Dynamik“ nannte. Mit diesen neuen Baustoffen können die Baumassen selbst Schwere und Trägheit überwinden und die Geschlossenheit der Fläche verwirklichen. Genau dieselben Baustoffe ermöglichten den Bau der Bunker des Atlantikwalls im Zweiten Weltkrieg. Der Bunker aus Stahlbeton gewann eine gewisse virtuelle Mobilität dadurch, daß sein Schwerpunkt das Fundament ersetzte. Er treibt wie ein U-Boot auf dem Erdboden, der schon eine bewegliche und gefährliche Ebene und keine gute Heimat mehr ist. Mendelsohns Vision des Einstein-Turms steht mitten unter diesen Kriegsmaschinen und mitten im Raum des totalen Kriegs, der die Erde entmaterialisiert und die Architektur auch
"mobil“ macht.
Bei seinen Großstadtarchitektur in den 20er Jahren bemühte Mendelsohn sich durch den Dynamismus der horizontalen Strömungslinie um die virtuelle Mobilität des Gebäudes, das er als ein mitwirkendes Bewegungselement zusammen mit dem schnellen Verkehr auf der Straße betrachtete. Den Wechsel von der vertikalen Hierarchie der letzten Jahrhunderte zum horizontalen Nebeneinander des 20. Jahrhunderts fand Mendelsohn in vielen Gebieten: Politik, Wirtschaft, Religion usw. Bei Mendelsohn, bei diesen
"ostpreußischen Orientalen“, war die Horizontaltendenz bezeichnend auch für das Judentum im Gegensatz zur senkrechten Tendenz des
"arischgermanischen Blutes“. Der jüdische Fatalismus steht bei ihm der germanischen utopischen Mystik gegenüber. Mendelsohn war sich seines jüdischen Blutes stets bewußt. Das Wort
"Blut“ erscheint immer wieder in seinen Vorträgen.
Er suchte kein Utopia, sondern strebte nach dem adäquaten Ausdruck für den pulsierenden und konsumierenden Nerv der Großstadt, besonders Berlins. Seine
"Reklamearchitektur“ für Kaufhaus, Kino und Zeitung paßten sich den Bewegungen der Informationen und des Geldes im kapitalistischen Schlachtfeld an. Dabei erhöhte das künstliche Licht die Gebäude zum räumlichen Ausdruck dynamischer Erregungen. Mendelsohns Architektur funktionierte wie ein Massenmedium, das die Masse für die Großstadt zu faszinieren versuchte.
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