Schon zu seinen Lebzeiten galt Arthur Schnitzler als Repräsentant der österreichischen Literatur um die Jahrhundertwende. E. Friedell z.B. sah im Jahr 1922, also in Schnitzlers 60. Lebensjahr, dessen größtes Verdienst darin, daß dieser
"eine Art Topographie der Wiener Seelenverfassung um 1900 geschaffen“ habe,
"an der man sich später einmal zuverlässiger, reicher und genauer orientieren wird als an den dickleibigsten Kulturhistorien“. Als der
"Analytiker der Wiener großbürgerlichen Welt“ schlechthin verlor er, wie S. Zweig sagt, mit dem Ende des Weltkrieges sozusagen seine Welt.
Während dieses Krieges, dem er wie K. Kraus nüchtern und kritisch gegenüberstand, notierte er für sich wichtige Betrachtungen über diesen und die Welt. In einer solchen Betrachtung nennt er drei
"alte gute Worte“, die von den Journalisten und Feuilletonisten
"im Lauf der letzten Jahre … zu Worten niedrigen Ranges degradiert worden sind“: Liberalismus, Skepsis und Psychologie. Diese drei Worte will er auf ihre
"ursprüngliche Bedeutung“ zuruckgeführt verstanden wissen:“ Daß Liberalismus nichts anderes bedeutet, wenigstens zu Beginn der so bezeichneten politischen Bewegung nichts anderes bedeutet hat, als das Bestreben, die Menschen in jeder Beziehung zu befreien (gegen Übergriffe der Mächtigen zu schützen, jeden nach seiner Façon selig werden zu lassen etc.), daß Skepsis nichts anderes bedeutet, als den Vorsatz nichts auf Treu und Glauben hinzunehmen, sondern zu prüfen, ehe man entscheidet, daß Psychologie einfach die Lehre von der Seele ist, das wird übersehen, vergessen…“ Man sollte diese drei Worte als die wesentlichen Begriffe verstehen, die die geistige Grundhaltung und die literarische Methode des Dichters Schnitzler konstituieren. Dieses Krisenbewußtsein war zugleich eng mit der Arbeit an seiner Autobiographie verbunden: Schnitzler stellte damals seinen Prozeß des
"Werdens, was er werden sollte“ distanziert und kritisch dar. In dieser unvollendeten Autobiographie
"Jugend in Wien“, die gerade dort endet, wo er als Dichter öffentlich auftritt, findet man die Atomosphäre und Bedingungen des Wiener
"Fin de sciécle“, mit dessen Problemen er sich literarisch intensiv beschäftigte, schon vorgebildet.
Schnitzler, den man oft getadelt aber auch gelobt hat, er singe immer nur sein
"Lied von Liebe und Tod und Spiel“, war in Wirklichkeit ein problematischer und seltener Fall, der von Anfang an heftig mit der damaligen Gesellschaft in Streit geraten war: er kritisierte die oberflächlichen herrschenden Prinzipien der Habsburger Monarchie-Militarismus (Duell), Doppelmoral, Antisemitismus u.s.w.-, und zwar hauptsächlich diagnostisch. Was z.B. den Antisemitismus betrifft, war er, wie seine Autobiographie zeigt, Zeuge, wie dieser seit den achtziger Jahren an Bedeutung gewann. Un- oder antipolitisch, wie er war, nahm er aber nicht Partei zwischen den beiden Alternativen Antisemitismus und Zionismus; wobei hier der auf dem Selbsthaß der Juden und ihrem starken Assimilationsstreben beruhende Antisemitismus gemeint ist.
Der
"diagnostische Nihilismus“ der Wiener medizinischen Schule spiegelt sich so auch in Schnitzlers Grundhaltung. Er diagnostiziert nämlich die Menschen und die Krankheit ihrer Gesellschaft, doch weiß er keine Therapie. Er kennt keine Antwort auf die Fragen, die die Zeit ihm stellt. Diese ausweglose Situation, der seine Helden und Heldinnen, die ästhetischen jungen Männer aus der bürgerlichen Oberschicht oder niederen Aristokratie und die bürgerlichen Mädchen und Frauen, ausgesetzt sind,
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