Am Wandel der Landschaftsschilderung des vorzugsweise sächsischen Industriegebietes läßt sich ablesen, wie die Autoren der DDR sich mit der Zeit vom Staat und seiner Ideologie immer weiter distanziert haben. Während in Christa Wolfs
Der geteilte Himmel (1963) Fabrikschornsteine noch als Symbol der Lebenskraft der Gemeinschaft, die die Krise vom Sommer 1961 überstanden hat, fungieren, stellt in Monika Marons
Flugasche (1981) die durch Industrieabgase vergiftete Luft eine unmittelbare Lebensgefährdung dar. Aber was den beiden Autorinnen trotz aller Unterschiede gemein ist: ihre, ob geglückte oder mißglückte, Suche nach Selbstverwirklichung und ihr Engagement, fehlt bei Kurt Drawerts
Haus ohne Menschen (1993) ganz. Wer hier vom verfallenden Leipzig berichtet, bleibt in seinem vom eindringenden Staub verunreinigten Zimmer sitzen und betrachtet Zeichen der heranrückenden Fäulnis in nüchterner, fast apathischer Haltung.
Der unterkühlte Stil der Drawertschen Prosa ist dadurch bedingt, daß das dualistische Weltbild der älteren Generation für die jüngere, zu der er gehört, suspekt geworden ist. In Wolfgang Hilbigs Roman »
Ich« (1993) z.B. verliert sich jeder Schwarz-Weiß-Kontrast im grauen Grundfarbton, der durch die Mischung aus Fabrikrauch, Autoabgasen und Nebel entsteht. Der Gegensatz von Macht und Opposition hat hier seine Schärfe und Dynamik eingebüßt und ist weniger wirklich als vielmehr simuliert, um mit der scheinbaren Existent der Opposition die Machtausübung der Regierenden zu rechtfertigen.
In Drawerts Roman
Das Spiegelland (1992) ist es die Sprache selbst, die als Medium der Herrschaft dient: sie leuchtet, indem sie den Sprechenden nach der vorgegebenen Grammatik wahrzunehmen, zu denken und sich zu äußern zwingt, sein Inneres aus und gibt dieses dem kontrollierenden und einflußnehmenden Blick der Macht preis. Wenn aber die Herrschaft sich mehr auf Simulation und Sprache stützt als auf nackte Gewalt, verschwimmt der Gegensatz von Macht und Opposition immer mehr, denn der Lebensraum wird dann nicht mehr in Unterdrücker und Unterdrückte zweigeteilt, sondern als ganzer von der Krankheit der Macht befallen.
In diesem kranken, seiner inneren Dynamik beraubten Raum kommt die Geschichte zum Stillstand. Die Ordnung der aufklärerischen Diskurse, in der die Dinge und die Menschen ihren Sinn vom antizipierten Telos der Geschichte empfangen und ihre Zusammenhänge miteinander so bestimmt werden, daß sie die Unvermeidbarkeit eben dieses Endziels beweisen, fängt nun zu schwanken an. Der Industrielandschaft Symbolkraft heizumessen, wie es die junge Christa Wolf tat, da sie sich noch ganz nach der Grammatik der Aufklärung artikulierte, ist für Kurt Drawert nicht mehr statthaft. Vielmehr vergleicht er sie mit einer Szene aus seiner Schulzeit: so, wie der Staub abgeriebener Kreide von der Tafel fiel und den Boden beschmutzte, fällt jetzt Asche von Fabrikschornsteinen: als staubgewordene Sätze, die einst auf eine paradiesische Zukunft hinwiesen.
Die entstehenden Risse der aufklärerischen Diskursordnung werden am ehesten dort sichtbar, wo Verfallserscheinungen der untergehenden Gesellschaft an die Oherfläche der Dinge treten. Hilbig wie Drawert richten ihren Blick immer wieder auf solche Flecke; das tut auch Gert Neumann in seinem Roman
Die Klandestinität der Kesselreiniger (1989), in dem er, ausgehend vom sicheren Gefühl, daß die Diskurse der Macht wie der Opposition die Dinge immer nur interpretieren, deren
"Würde“ aber nie treffen können, dem paradoxen Versuch nachgeht, mit den Dingen zu kommunizieren, d.h.: die stumme Stimme der Dinge aus Bruchstellen der Diskurse herauszuhören und im Romantext gegenwärtig werden zu lassen.
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