Bei der Erforschung des Frnhd. in bezug auf die Entstehung der nhd. Schriftsprache stellen oft das Latein und die zahlreichen Mundarten Faktoren dar, die die Entstehung der gemeindeutschen Einheitssprache retardierten, wobei die Periode des Frnhd. bloß als die Vorstufe des Nhd. verstanden werden müßte.
Einc solche Einstcllung zu den zahlreichen Sprachvarietäten jener Zeit liegt wohl an unserem Sprachbewußtsein von heute, wo die Standard-sprache als einzige legitime Sprache in fast alle Lebensbereiche eingedrungen ist und die sonstigen Varietäten in den Hintergrund zurück-gedrängt hat.
Arno Schirokauer argumentiert für die Eigenständigkeit der Periode des Frnhd., mit dem Hinweis, an den grobianischen Werken dieses Zeitalters sei ein anderes Sprachbewußtsein zu erkennen als heute. Der vielfältige Sprachzustand im Zeitalter des Frnhd. ist aber m.E. kein Chaos vieler Sprachvarietäten.
In dieser Arbeit wird versucht, vom Gesichtspunkt der Soziolinguistik den Sprachzustand der frnhd. Periode in seinem Verhältnis zum Sozialleben der damaligen Leute zu erfassen. Er wird also daraufhin untersucht, welche Sprachvarietät von welcher Sozialschicht in welchem Lebensbereich verwendet wurde, um festzustellen, wie sich die verschiedenen Varietäten funktional bedingen.
Als Sprachvarietäten, die man damals verwendete, sind Latein, verschiedene deutsche Varietäten und Fremdsprachen zu nennen. Die deutschen Varietäten lassen sich danach differenzieren, wie sie sich gemeinsprachlich orientierten bzw. inwieweit sie mundartliche Elemente enthielten.
Latein wurde als Gemeinsprache von der Oberschicht der Geistlichen und Gebildeten oder auch in Kanzleien verwendet. Es galt zugleich als elaborated code, der in der Wissenschaft verwendet werden konnte. Latein hatte also die soziolektale Funktion, dafür zu sorgen, daß die lateinun-kundigen Mittel- oder Unterschichten unterprivilegiert blieben. Dagegen war Deutsch in zahlreiche Mundarten zerspalten, die nur in regional beschränktem Maße Geltung hatten. Wegen der armen Tradition in der deutschen Sprache galt sie als restricted code und wurde nicht in den Bereichen wie Wissenschaft, Recht, Verwaltung verwendet.
Mit dem Aufstieg des Bürgertums und der Teilnahme der Bauern am politischen Leben nahm seit dem 16. Jh. die Verwendung des Deutschen auch in den Domänen zu, wo bis dahin fast ausschließlich Latein geherrscht hatte. Das spiegelt ein nationalistisches Selbstverständnis des Bürgertums und Bauernstandes im Gegensatz zur paneuropäisch gesinnten Oberschicht wider. Es entstanden mehrere regionale Gemeinsprachen, die aber noch nicht in Orthographie oder Grammatik vereinheitlicht waren, so daß manchmal eine in die andere übersetzt werden mußte. Sie unterschieden sich von der eigenen Sprache vieler Leute auch darin, daß sie hauptsächlich als Schreibsprache sozusagen wie eine Fremdsprache gelernt und nur zu bestimmten Zwecken verwendet werden konnten. Man verfügte sonst noch über mehrere Varietäten, die je danach verwendet wurden, ob man sich damit überregional bzw. lokal oder eventuell privat ausdrücken wollte.
Wegen der regionalen und sozialen Mobilität und Vielfätigkeit war auch Mehrsprachigkeit bei Einzelpersonen nicht selten, wie z.B. bei Martin Luther oder Kaiser Karl V., der mehrere Varietäten je nach den Umständen verwendete.
Als Ergebnisse ist festzustellen: 1) In der frnhd. Periode gab es sowohl bei der Einzelperson als auch in der Gesellschaft eine komplexere Polyglossie-Situation als heute, in der sich zahlreiche Varietäten funktional bedingten. 2) Es läßt sich vermuten, daß man damals ein anderes Sprachbewußtsein hatte als heute, d.h. man war sich der Sprachnorm nicht so stark bewußt wie heute,
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