Der vorliegende Aufsatz befaßt sich mit einer geschichtlichen Angelegenheit, die sowohl Trivialliteratur als auch Lesepublikum angeht, und zwar mit jener Phase der deutschen Lesergeschichte, in der sehr viel von
"Lesewut“ der Bevölkerung geredet wurde. Dabei geht er von der Annahme aus, daß es zwischen Trivial- und Hochliteratur keinen wesentlichen Unterschied gibt, insofern man die Seinsart der beiden ins Auge faßt und keine Frage nach der künstlerischen Rangordnung stellt. Dieser Auffassung von der Trivialliteratur liegt eigentlich jener Vorschlag Helmut Kreuzers zum Umdenken des Literaturbegriffs zugrunde, den er 1967 damaligen Kunstrichtern der Literaturwissenschaft als Herausforderung gemacht hat. Und es ist wohl an der Zeit, daß wir, japanische Germanisten, uns endlich einmal mit diesem bisher fast außer Acht gelassenen Sektor der deutschen Literatur beschäftigen in der Hoffnung auf ein besseres Verständnis derselben.
In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere nach der Französischen Revolution, bemerkte man in Deutschland eine erstaunliche Steigerung der Leselust in allen Kreisen der Bevölkerung, was sich heute nicht mehr demographisch genau feststellen, aber an der erhöhten Buchproduktion der damaligen Zeit ungefähr ablesen läßt. Die Buchproduktion in Deutschland im 18. Jahrhundert hat die des 17. Jahrhunderts mit 400, 000 bis 500, 000 Titeln um mehr als das Doppelte übertroffen, wie Engelsing in seiner Studie
"Analphabetentum und Lektüre“ berichtet. Nach den Berichten von damals habe diese übermäßig gesteigerte Leselust alle Schichten des Volks gepackt und auch vor den untersten Schichten nicht einmal haltgemacht. Diesen Trend zur Demokratisierung des Lesens verfolgten viele aufgeklärte Kritiker mit Staunen und Besorgnis und ärgerten sich bald über die Maßlosigkeit der Lektüre des Volks. Sie verschrien sie als
"Lesewut“ und wollten unbedingt diese geistige Epidemie bekämpfen. Die Kritiker, die sich in erster Linie aus Bildungsbürgern zusammensetzten, begannen eine Kampagne gegen Lesegesellschaften und Leihbibliotheken zu führen. Die letzteren wurden von den vor lauter Ärger nicht klarsehenden Kritikern pauschal als
"Giftbuden“ oder
"Bordellen“ des Geistes verdammt, weil sie ihnen wie eine Hauptquelle zur Versorgung der Unterschichten mit sehr schlechten Büchern wie Trivialromanen erschienen. Warum hatten die Kritiker die genannten Einrichtungen mit Schimpfworten beworfen? Man kann heute ziemlich leicht einsehen, worauf sie mit ihren schrillen Strafpredigten eigentlich hinauswollten. Das Lesen wird verdammt, weil es auf die Menschen emanzipatorisch einwirkt. Ihre Einbildungskraft erwacht und ruft in ihnen
"einen Hang zur Freiheit und Unzufriedenheit mit dem eigenen sozialen Status“ (Alberto Martino) hervor. Die Leute aus den Unterschichten dürfen nur solche Lektüre haben, die ihre berufliche Leistungsfähigkeit erhöht und ihnen seelische Ruhe gibt, in der sie sich mit dem Status quo zufriedengeben können. Ihnen wird keine Lektüre gestattet, die etwa die bestehende Gesellschaftsordnung gefährden und soziale Mobilität fördern würde. Im Grunde genommen soll man nach der Meinung dieser gönnerhaft arroganten Kritiker überhaupt nichts lesen, was in ihm Empfindung für persönliche Würde und einen Sinn für Freiheit wachruft. Die orthodoxe Geistlichkeit und der Kreis der konservativen Politiker waren die Vertreter dieser antidemokratischen Mächte, weil sie einfach zum Establishment gehörten und daher große Angst vor einem Umsturz hatten.
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