die Deutsche Literatur
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Die weiblichen Gestalten als verführerische Wesen in Grillparzers Dramen
ISAO HORI
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1970 Volume 44 Pages 59-68

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Abstract

Rustan, der Held im Drama “Der Traum, ein Leben”, ist im wesentlichen ein schüchterner und etwas phantastischer Jüngling. Er empfindet das stille und friedliche Landleben als langweilig und leer, da jeder Tag dort ohne besondere Ereignisse vorbeigeht. Er sehnt sich nach dem Hof von Samarkand, als könne er dort leicht zu Ruhm und Ehren gelangen. Daher will er Onkel und Kusine, die ihn lieben, verlassen und sich auf eine abenteuerliche Reise begeben.
Dieser Rustan ist der Prototyp Grillparzerischer Heldenfiguren: Die meisten Männer in Grillparzers Dramen sind, so könnte man sagen, von Natur sanft und mild; im Jünglingsalter aber begeistern sie sich für die unbekannte Welt und nichtalltägliche abenteuerliche Taten. Sie gehen manchmal blindlings auf Abenteuer aus, schwärmen auch für Mädchen, die von exotischer Schönheit oder rätselhaftem Charakter sind.
Phaon hört von dem glänzenden Ruf Sapphos, nährt im stillen ein starkes Verlangen nach dieser sensationellen Dichterin, malt sich nach dem Hörensagen allmählich ein abgöttisches Bild von ihr aus. So gelangt er schließlich soweit, bloße Anbetung für wahre Liebe zu halten.
Jason fühlt sich zur exotischen Schönheit Medeas hingezogen und bringt sie, von Eroberungslust getrieben, mit Gewalt nach Griechenland, wo sie ihm dann bald zur Last fällt.
Grillparzer behandelt im Drama “Die Jüdin von Toledo” folgendes Problem: Der verführerische Reiz der Frauen wirkt manchmal zerstörerisch auf die Ordnung unseres alltäglichen Lebens, und die Männer, die von solchem Reiz gefesselt sind, können leicht in einen moralischen Abgrund geraten. Es ist jedoch dem menschlichen Wesen nach natürlich und nicht geradezu verwerflich, wenn die Männer einem solchen Reiz verfallen.
Von diesem Standpunkt aus behandelt Grillparzer in jenem Drama, wie das Streben nach inhaltsreichem menschlichen Leben mit der Durchführung der Pflicht in Konflikt gerät.
Die Jüdin Rahel, eitel, listig und kokett, kann in “sittlichem Benehmen” der Königin Eleonore, die etwas kaltblütig, aber edel, vornehm und wohlerzogen ist, durchaus nicht gleichkommen. Aber was die weibliche Anziehungskraft betrifft, geben Rahel gerade diese Fehler im Benehmen eine unversiegbare Quelle des Zaubers. Sowohl allgemeine Sitten und Gebräuche, als auch sittliche Rücksichten haben auf sie nicht die Wirkung wie auf andere, gewöhliche Menschen. Ihre Willensäußerung ist nicht der lebendigen Unmittelbarkeit beraubt, so daß all ihr Tun und Treiben vom langweiligen Rhythmus des alltäglichen Lebens unabhängig bleiben und eine einmalige Frische behalten kann, die den König Alfons immer wieder bezaubert.
Aber dieses Tun und Treiben ist leider von keiner ethischen Produktivität, weil dabei die gesellschaftliche Ordnung -die produktive Organisation- außer acht bleibt. Man kann daher von einem Liebesverhältnis mit solch einem Mädchen keine Selbstbildung erwarten. Grillparzer hat nie versucht, einen sogenannten Bildungsroman zu verfassen. Noch deutlicher wird uns dieser Sachverhalt, wenn wir Jason mit Goethes Werther vergleichen. Werther verliebte sich in Lotte, als er sie im Vorsaal sechs kleine Kinder versorgen sah. Er fühlte sich von der Lieblichkeit eines dienstfertigen, fleißigen Mädchens angezogen, das eben mit der Ausführung alltäglicher Pflichten beschäftigt war. Dagegen meinen Grillparzers Männer, Don Cäsar und Otto von Meran z. B., daß der Reiz des Geschlechts, sinnliche Lust oder Berechnung allein das Band zwischen den Geschlechtern erhalten kann, und wollen nicht einsehen, wie fest das Band zwischen einem Mann und einer Frau, die sich bescheiden, im wirklichen Leben verwurzelt ist

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