die Deutsche Literatur
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Zum Problem des Modernen im Naturalismus
TADASHI FUJII
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1978 Volume 61 Pages 10-19

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Abstract

Um 1885 war der "Naturalismus“ noch nicht gängiger Gruppenname für die jungen Dichter, die mit dem Schlagwort "Revolution der Literatur“ auftraten; sie bezeichneten sich vielmehr als Realisten, Jung- oder Jüngst-deutsche, Stürmer und Dränger, Moderne. Schon diese Selbstbezeichnungen deuten den komplizierten Charakter dieser Gruppe an. In dem Vorwort zu ihrer Anthologie "Moderne Dichter-Charaktere“, nämlich "Unser Credo“ von H. Conradi, erscheint der Begriff "modern“ zusammen mit den Begriffen "wahr“ und "sozial“ unter der Vokabularmasse, die das Verlangen einer Art Sturm und Drang darstellt: das Große, Hinreißende, Titanische, Geniale, Germanische. Daraus kann man schließen, daß der deutsche Naturalismus keineswegs mit dem eindeutigen Programm vom Postulat der Wahrheit auftrat. Seine widerspruchsvolle Haltung stand im Zusammenhang mit der Situation, in der er sich befand. Die junge Generation, die unter dem Einfluß der radikalen Veränderungen der deutschen Gesellschaft seit 1871 aufgewachsen war, betrachtete den poetischen Realismus, der damals noch in literarischer Tätigkeit war, nicht als den Gegenstand, mit dem sie sich beschäftigen sollte, um ihre eigene Literatur zu schaffen, und sie fand nur die Flut von formalistischer lyrischer Dichtung der Münchner Schule vor. Für sie gab es gleichsam keine deutsche Literatur mehr. Im Unterschied zum französischen Naturalismus, der sich auf dem Weg des Realismus seit Balzac entfaltete, mußte der deutsche einen Weg einschlagen, der außer den naturalistisch genannten Elementen andere, oft im Gegensatz zu denselben stehende enthielt. Das Versäumnis der Beschäftigung mit der realistischen Überlieferung führte den deutschen Naturalismus zur Vernachlässigung des struktuellen Elements im Kunstwerk und zur Konzentration auf die getreue Wiedergabe der Wirklichkeit.
In ihrer politischen, sozialen Tendenz folgte diese junge Generation bewußt der revolutionären literarischen Bewegung des Jungen Deutschland, und damit gewann der Begriff "modern“ eine klarere Bedeutung: das Moderne sei für sie der Gegensatz zur Antike und auch zum Mittelalter; der Realismus sei die künstlerische Richtung des Modernen. Aber der Begriff blieb nicht immer so deutlich, weil der Begriff "Realismus“ selbst bei den Naturalisten keine eindeutige Definition bewahrte. Z.B., K. Bleibtreu, der Verfasser der "Revolution der Literatur“, erklärte als neue Poesie eine Verschmelzung von Realismus und Romantik. Diese Haltung war jedoch keine Ausnahme; die theoretischen Versuche des Naturalismus richteten sich gerade auf eine solche Verschmelzung oder Vereinigung von Realismus und irgendeinem Gegenstück dazu. Die Brüder Hart suchten die neue Poesie mit folgenden Begriffskombinationen auszudrücken: poesie-getränkte Wahrheit, rechte Mitte zwischen erdfrischem Realismus und hoher Idealität. Aus dem Versuch der Harts, der im Gegensatz zur Theorie von Zola gemacht wurde, ist zu schließen, daß sie die Theorie von einer neuen Nationalliteratur, "einer echt modernen und tief nationalen Dichtung“ aufstellen wollten. Der Begriff "die Moderne“, der von Eugen Wolff 1886 geprägt wurde, enthielt die damals von den Naturalisten diskutierten Begriffe wie Realismus, Idealität, Wahrheit, Volksgeist. Der so erweiterte und damit entschärfte Begriff "die Moderne“, der gerade das widerspruchsvolle Wesen des deutschen Naturalismus ankündigt, spielte in der Übergangs-phase der Naturalisten vom Sozialismus zum Individualismus und Anarchismus eine Rolle, nämlich als Helfer zur Entpolitisierung.

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