Abstract
In meiner Abhandlung analysiere ich E.T.A. Hoffmanns(1776-1822)Stück Ignaz Denner (1816) im Hinblick auf dessen historischen Hintergrund,
insbesondere seiner Beziehung zur Ökonomie. In dieser Erzählung tritt sein
Titelheld als „der Fremde“ in das Haus der Hauptperson Andres ein und
gibt Andres’ Familie so viele Gaben, dass sie immer reicher wird. Aber diese
Geschenke werden später als Tausch entlarvt. Denn sie sind Bedingung dafür,
dass Denner von Andres die Erfüllung seiner grausamen Wünsche verlangt. In
der Forschung wird dieses Stück aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet.
Besonders Jun Imadas Beitrag ist aufschlussreich für meine Werkanalyse, weil
Imada seinen Schwerpunkt auf die Funktion der Familie legt. Seiner Meinung
nach bringe erst der Eintritt Denners in die Familie die Handlung dieses Stücks
in Gang.
Um 1800 vollzieht sich zudem die Trennung des Erwerbslebens von dem
Familienraum, womit auch eine geschlechtliche Rollenverteilung verbunden
ist. So hält man die Familie für eine Art von Zuflucht des Mannes, der einer
ökonomischen Tätigkeit nachgeht. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhundertes
wird die ökonomische Theorie von Adam Smith in die deutschsprachigen
Länder eingeführt und beeinflusst die Beamten, die die preußische Restauration
nach der Niederlage gegen Napoleon leiten. Im ökonomischen Modell von Smith
ist der „Tausch“ ein wichtiger ökonomischer Akt, damit jedes Individuum sich
auf seine Arbeit konzentrieren könne. Die bisherige Forschung erwähnt die
ökonomischen Kontexte in diesem Stück nur wenig. Deshalb sollen diese in
Verbindung mit der Funktion des Familienraums in der vorliegenden Studie
näher betrachtet werden. Ich möchte dabei die folgenden Fragen beantworten:
Wie wird die sich um 1800 ausbildende ökonomische Ordnung in seinem Werk
dargestellt? Welche kritische Potenz gegenüber dem damaligen ökonomischen
Modell hat Hoffmanns Werk? Ist diese Kritik adäquat?
In Andres’ Familie drückt sich exemplarisch eine damalige typische Familie
aus, da das Familienoberhaupt Andres außer Haus arbeitet und seine Frau
Giorgina innerhalb des Hauses bleibt. Diese Rollenverteilung bezieht sich
auch auf die unterschiedlichen Haltungen beider Figuren gegenüber der
Gabe Denners. Gegenüber Denners Angebot der Gabe zeigt Andres eine
ablehnende und Giorgina eine annehmende Haltung. Was man außerhalb des
Hauses durch den Einkauf oder Arbeit von Andres bekommt, wird von seinen
Familienmitgliedern als Geschenk interpretiert. Aus diesen Beobachtungen
könnte man folgern, dass die Gabe in den Familienraum situiert wird, während
der Tausch außerhalb des Hauses der Familie steht.
Durch den Tausch zwischen Denner und Andres wird deutlich, wie sich das
damals wichtigste ökonomische Prinzip des Tausches in den intimen Raum der
Familie einschleicht. Am Ende wird Andres und dem Leser klar, dass Giorgina,
die Frau von Andres, die Tochter von Denner ist. Das heißt, Denner ist auch ein
Familienmitglied von Andres. So vollzieht sich der Tauschakt nicht zwischen
einem Familienmitglied und einem Fremden, sondern zwischen Familienmitgliedern,
d.h. innerhalb des Hauses selbst. Unbemerkt – nicht nur für Andres,
sondern auch für den Leser – wird ein ökonomischer Akt, der außerhalb des
Hauses verlaufen müsste, in den intimen Raum der Familie gestellt.
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