Neue Beiträge zur Germanistik
Online ISSN : 2433-1511
Aufsätze
Die emanzipatorische Genealogie des Kairos und der religiöse Sozialismus
Die Grenze und das Potenzial von Paul Tillichs Schelling-Studien
Norihito NAKAMURA
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2023 Volume 168 Pages 48-62

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Abstract
Das Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, die noch immer nicht ausgeschöpfte Aktualität und das Potenzial von Paul Tillichs bereits vor einem Jahrhundert entstandenen Schelling-Studien aus der Perspektive der Schelling-Forschung zu beleuchten. Dabei ist es möglich, neue Aspekte von Schellings Werk zu entdecken, die gegenwärtig noch übersehen werden.
 Tillich entwickelte die Konzeption des religiösen Sozialismus und dessen Kernbegriff, den Kairos, in der Krise der Weimarer Zeit. Er stützte sich dabei auf die Spätphilosophie F. W. J. Schellings. Obgleich dessen Spätphilosophie noch als konservativ und dogmatisch kritisiert wird, ist Tillich ein Wegbereiter, der den emanzipatorischen Keim für einen religiösen Sozialismus darin erblickte.
 Dieser Aufsatz besteht aus drei Teilen. Im ersten Abschnitt wird Tillichs Kairos und Logos (1926) gelesen, wobei der Schwerpunkt auf dem Begriff des Kairos liegt. Im zweiten Abschnitt wird durch die Beschäftigung mit Tillichs Schelling-Studie deutlich, dass er dadurch sein eigenes Konzept des Kairos gebildet hat. Im dritten Abschnitt lesen wir Schellings letzte politische Lehre, die sogar Tillich selbst übersehen hat, und zeigen auf, dass der Keim eines religiösen Sozialismus darin zu finden ist.
 Daraus lässt sich ableiten, dass Schelling und Tillich die zwei folgenden Weltanschauungen gemeinsam vertreten: Die erste ist die Gegen-Teleologie, die davon ausgeht, dass keine Entwicklung der Wirklichkeit und der Welt ohne unsere Handlungen und Entscheidungen bestimmt wird; die zweite ist eine Art emanzipatorischer Utopianismus, in dem eine Allianz zwischen Philosophie und Religion der Ausgangspunkt für die Kritik an der politischen Ordnung sein soll. Der Widerstreit und die Dynamik dieser beiden scheinbar widersprüchlichen Weltanschauungen ergeben für uns Menschen die Notwendigkeit, von Natur aus frei zu sein und daher aktiv zu handeln.
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