Abstract
Musil versucht in seinen beiden Novellen, die unter dem Titel "Vereinigungen" zusammengefasst wurden, auf verschiedenen Ebenen literarischer Technik den Gegensatz zwischen dem Ausdruck und der ihm widersprechenden Erkenntnis zu uberbrucken. Unter diesem Aspekt fallt in der "Vollendung der Liebe" eine Besonderheit in der Zeitstruktur auf. Zum ersten macht es das Zeitbewusstsein der Heldin Claudine verstandlich, dass ihre wirkliche Reise, die in der Zukunft beginnt, eigentlich auf ihre Vergangenheit gerichtet ist, so dass die Erfullung und Verwirklichung der Zukunft geradezu eine Wiederholung der Vergangenheit darstellt. Denn sie erlebt in der Vorwegnahme ihrer Reise etwas Ahnliches, wie sie bereits einmal vor dieser Abreise getan hat. Daher fallt die Zukunft in dieser Zeitstruktur mit der Vergangenheit zusammen und verbindet sich eng mit ihr, order beide sind miteinander verwoben. Somit kann man die Vergangenheit nicht fur ein schon vergangenes und fixiertes Wirkliches, sondern fur eine noch nicht vollendete Zukunft mit einem Moglichkeitsspielraum halten. In den einzelnen Zeitreihen, immer als Gegenwart von den wirklichen Vorkommnissen gestaltet, wird die Ewigkeit wie etwa die Zeitlosigkeit mehrmals wiederholt und gewinnt dadurch konkrete daseinsformen. Deshalb erganzen sich die beiden gegensatzlichen Zeitmomente und existieren in dieser ungewohnlichen Zeitstruktur zusammen. Also kann man auch jede manchmal wiederholte, alltagliche Tat dadurch zur schopferischen, ursprunglichen Tat erhohen, dass man die zusammenhanglosen, nur einmaligen und sich wandelnden Ereignisse unter solcher ewigen, mythischen, nicht zeitlichen Perspektive betrachtet. An dieser dualistischen Denkweise lasst sich der Musilsche Geist andeutungsweise erkennen, der paradoxerweise vermag, die scheinbar abenteuerliche zufallige Liebe der Heldin auf der Reise in die Treue zum ewigen Partner zu verwandeln, und der alle Moglichkeiten des Bestehenden entdecken und immer erneut die Wirklichkeit aus sich erzeugen will.