Beitraege zur oesterreichischen Literatur
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"Das goldene Vliess" und "Der Ring des Nibelungen"
Takuya TATEISHI
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2001 Volume 17 Pages 1-8

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Abstract

Die Grillparzersche Trilogie "Das goldene Vliess" [1821] scheint viele Gemeinsamkeiten mit der Wagnershcnen Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" [1853] zu besitzen. Zwischen der "Sappho" von Grillparzer und Wagners "Meistersinger von Nurnberg" erkennt man ebenfalls ein verwandtes Thema. Obwohl diese Gemeinsamkeiten akzeptabel sind, stehen sich beide Dramatiker als ≫Antipode≪ (Dieter Borchmeyer) gegenuber. In diesem Aufsatz soll das "goldene Vliess" mit dem "Ring" verglichen werden, um Borchmeyers These in Frage zu stellen. Die Untersuchung beginnt mit einem Vergleich von Strukturen, Symbolen, den Hauptpersonen und sprachlichen Mitteln beider Stucke. Dabei stellt sich heraus, dass sie trotz einiger Gegensatze im Wesentlichen auf gleichem Boden stehen. Dies ist ein Standpunkt, der das Hellasbild deutschsprachiger Kunstler im 19. Jh. bestimmt: es wurde eine Verherrlichung des alten Griechenlandes vermieden, was im Europa des vergangenen Jahrhunderts ganz ublich war. Auf der eienen Seite findet man im "goldenen Vliess" diese Einsicht in dem Gegensatzschema: das dunkle barbarische Kolchis gegen das helle kulturelle Hellas. Diese Formel konnte man in einem ubertragenen Sinn umsetzen: Europa gegen Nicht-Europa im eurozentristischen 19. Jahrhundert. Grillparzer war sich der verborgenen Diskriminierung der kultur seitens der entwickelten Lander bewusst. Diese Problematik wurde ein Jahrhunder spater vom deutshcn Dramatiker Hans Henny Jahn nochmals aufgegriffen und vertieft. Anstatt vo Diskriminierung der Kultur ist nun von Rassendiskriminierung die Rede. In seiner "Medea" [1926] wurde Kolchis durch Afrika, die Einwohner von Kolchis durch Schwarzafrikaner ersetzt. Andererseits bemerkt man im "Ring" ein ahnlichen Gegensatzschema: Juden gegen Germanen. Dieser in der Wagnerschen Weltanschauung tief verwurzelte Streitpunkt wurde als Machtkampf zwischen der edlen Heldensippe der Walsungen und der der geizigen Nibelungen dargestellt. Der Kampf wurde in der Schlussszene der Tetralogie von Brunnhilde, die einst Tochter des Gottes war, aufgehoben, so wie Medea, auch ursprunglich eine Gottin, in der Schlussszene der Trilogie sich eine Fahrt nach Delphi auferlegte, um der verflochtenen Geschichte ein logisches Ende zu bereiten. Gerade in diesem Punkt erkennt man, wie nahe sich Grillparzer und Wagner stehen. Das Vliess und der Ring werden von den ursprunglich gottlichen Handlungstragerinnen in den Urzustand zuruckgefuhrt, wo alles beginnt. In ihnen wird trotz der grossen Tragik gleichermassen der Geist der Humanitat verkorpert. Deshalb sind Grillparzer und Wagner nicht als Antipoden anzusehen.

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