Beitraege zur oesterreichischen Literatur
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Wie verbinden sich Leben und Geschlechtlichkeit mit negativen Vorstellungen in Franz Kafkas Erzahlungen?
Ryo YAMAO
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2012 Volume 28 Pages 12-22

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2006 hat Joachim Pfeiffer darauf hingewiesen, dass Weiblichkeitsdarstellungen in Kafkas Erzahlungen weitgehend negativ besetzt sind. Weiblichkeit wird mit Fremdheit, Tod, Exil und Entfremdung assoziiert. Aber eine solche negative Verbindung kann nicht nur fur die Darstellung von mannlichen, sondern auch von weiblichen Figuren in Kafkas Texten gelten. Bei der Analyse von Kafkas Texten lasst sich klar beweisen, dass hier ein Zusammenhang zum "Reinlichkeitsfanatismus" des Autors besteht. Die vorliegende Abhandlung zeigt anhand von um das Jahr 1917 geschriebenen Erzahlungen Kafkas, wie sich darin Leben und Geschlechtlichkeit mit negativen Vorstellungen verbinden. Kafkas Reinheitsfanatismus in Bezug auf Essen, besonders Fleisch, wie auch auf Frauen kommt oft in seinen Tagebuchern, Briefen und Werken zum Ausdruck. Kafka ist Vegetarier und schreibt in einem Brief an Max Brod, dass er eine fremde "Unannehmlichkeit" fuhle, wenn er Fleisch esse. Diese fremde "Unannehmlichkeit" beruht nicht nur darauf, dass er Vegetarier ist, sie hat auch noch andere Grunde. Fleisch zu essen und Schlemmerei assoziiert Kafka in seiner Vorstellung mit seinem Vater Hermann, der ausgepragt mannliche Eigenschaften besass. Kafka hat Komplexe und eine Art Abneigung ihm gegenuber. Die von seinem Vater symbolisierte extreme Mannlichkeit empfindet Kafka als "Fremdheit". Durch sein Vegetariertum versucht er, sich in seinem Leben einen eigenen Bereich zu schaffen, der von den Normen des Vaters nicht beruhrt wird. In Schakale und Araber sind ahnliche Assoziationen im Denken der Schakale erkennbar. Die Schakale haben im Text einen eigenen Wertmassstab, der das genaue Gegenteil der allgemeinen Norm darstellt: Schwache, Leichenfressen und Niedergedrucktheit verbinden sich mit "Sauberkeit" und Starke, Ordentlichkeit und Herrschaft (Unterdruckung) mit "Schmutzigkeit". Sie hassen alle mannlichen Merkmale der Araber und halten diese fur "schmutzig". Die Denkweise der Schakale, die die Mannlichkeit der Araber absichtlich ins Negativ kehren, ist der Denkweise Kafkas sehr ahnlich. Obgleich in Kafkas Vorstellung das Verlangen nach sexueller Liebe mit Tabu- und Schuldgefuhlen in Verbindung steht, werden in seinen Erzahlungen und anderen Texten Frauen auch als reizvolle, aber gleichzeitig manchmal bedrohliche Figuren beschrieben, so als ob sie Monster waren. Dieses Frauenbild kommt z. B. in den Beschreibungen eines Madchens, mit dem der junge Autor eine Beziehung hatte, in Briefen an Milena und der Beschreibung Frau Tschissiks, einer Schauspielerin und Bekannten Kafkas, zum Ausdruck. Die Sirenen, die in Das Schweigen der Sirenen als irdische und nicht-mythische Existenzen beschrieben werden, verkorpern die Begierde, mit korperlichen Mitteln Objekte zu kontrollieren. Die mit monstrosen Vorstellungen verknupften Weiblichkeitsdarstellungen signalisieren den gewaltsamen Willen der Weiblichkeit, durch Ausubung von Zwang in die Sphare des Anderen einzudringen, wie im Fragment Ein Leben beschrieben wird. Kafkas Erzahlungen und seine personlichen Neigungen zeichnen sich durch eine "Abgeschlossenheit" aus, die die aktive Eingliederung in die Gesellschaft vermeiden und ein eigenes Territorium aufbauen will, das vom Anderen nicht bedroht wird. In der Erzahlung Die Sorge des Hausvaters geht es um diese Abgeschlossenheit. Die Hauptfigur Odradek ist ein Objekt und vermag als solches durch die Art seines sinnlosen, in sich verschlossenen Daseins der Bedrohung durch weibliche und mannliche Machte zu entgehen. Aufgrund seiner Abgeschlossenheit muss er aber auch auf jede Art von Kommunikation verzichten. Kafka selbst besass diese Tendenz zur Abschliessung, die sich als Reinheitsfanatismus ausserte. Er uberwand sie jedoch, indem er sie in seinen Erzahlungen als Kunst darstellte.

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