Beitraege zur oesterreichischen Literatur
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Der vergessene Dichter Alfred Grunewald
Ken AIHARA
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2015 Volume 31 Pages 23-35

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Der Dichter Alfred Grunewald (1884-1942) und sein Werk blieb lange vergessen. Erst 2012 publizierte Volker Buhn in Literatur und Kritik die Ergebnisse seiner ausgedehnten Recherchen uber Grunewalds Leben und Werk. Im vorliegenden Aufsatz soil ein Uberblick uber dessen Werk unter Berucksichtigung der zeitgenossischen Kritik gegeben und gleichzeitig versucht werden, die Ursachen fur das Vergessen dieses Lyrikers zu benennen. Grunewald studierte an der Technischen Universitat Wien und trat bei Adolf Loos als Architekt ins Berufsleben ein. Allerdings hatte er schon als Student an einigen Zeitschriften mitgearbeitet. Mit der Veroffentlichung einer Ballade in der Fackel erregte er erstmals als Dichter Aufsehen. Nach dem Anschluss Osterreichs an Nazi-Deutschland wurde er als Jude verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt, doch 1939 freigelassen. Er floh nach Nizza, wurde jedoch 1942 vom Vichy-Regime an Deutschland ausgeliefert und im selben Jahr in Auschwitz ermordet. Der Schriftsteller Kurt Hiller (1885-1972) setzte sich fur die Werke Grunewalds ein; 1996 wurde die Aphorismensammlung Ergebnisse (1921) neu aufgelegt. So ist Grunewalds Name zwar nicht ganzlich von der osterreichischen Literaturgeschichts-schreibung vergessen worden, doch erfuhr sein umfangreiches lyrisches Werk bis heute kaum Beachtung. Dieses Vergessen ist meines Erachtens nicht nur auf die ubermassige Formenstrenge seiner Gedichte zuruckzufuhren, es ist wohl auch in seiner sexuellen Neigung (er war homosexuell) begrundet. Das auch im 2013 wieder aufgelegten Gedichtband Sonette an einen Knaben (1920) deutlich in Erscheinung tretende Motiv der Homosexualitat, der Knabenliebe und ihrer Unerfullbarkeit pragte sein Liebesleben und seine Dichtung massgeblich. Grunewald war offen homosexuell und stellte geschlechtliche Begierden unverblumt dar. Bereits die zeitgenossische Kritik bemangelte seine manierierten, "wirklichkeitsfernen" Verse, wie auch die Unreflektiertheit seiner sexuellen Vorlieben. Ein entscheidender Grund fur das Vergessen Grunewalds liegt auch darin, dass der Insel-Verlag einen geplanten Gedichtband schliesslich doch nicht veroffentlichte. Stefan Zweig, der bei Insel publizierte und mit dem Verleger Kippenberg befreundet war, bewertete Grunewald abschatzig mit den Worten als "immer derselbe". Kein einziges Werk Grunewalds erschien im Insel-Verlag. Grunewalds Bucher waren kaum erhaltlich - auch deswegen ist der Lyriker wenig bekannt. 1938 wurde Paul Heigl Leiter der Osterreichischen Nationalbibliothek, die im nationalsozialistischen Sinne "bereinigt" wurde. Nach Grunewalds Deportation nach Dachau wurden die Bucher aus seinem privaten Besitz von der Gestapo beschlagnahmt und in die Osterreichische Nationalbibliothek gebracht, wo sie zwar aufbewahrt wurden, doch bis lange nach Kriegsende nicht zuganglich waren. Nach seinem Tode versuchten seine Freunde, seine geschlechtliche Neigung mit dem Hinweis auf die Paderastie im klassischen Griechenland zu relativieren. Doch wenn man einen so wesentlichen Bestandteil seines Werkes zu verbergen sucht, bagatellisiert man seine Dichtung. Wo also liegt der Schlussel fur die Wertschatzung der Lyrik Grunewalds? Da Grunewald jede Parteilichkeit hasste, solidarisierte er sich auch nicht mit der zeitgenossischen Schwulenbefreiungsbewegung um Magnus Hirschfeld. Sein Werk kann man also nicht in einer Linie mit dem Kampf gegen die Unterdruckung sexueller oder anderer Minderheiten sehen. Grunewalds strenge klassische Gedichtform steht in Platens Nachfolge und kann daher nicht als avantgardistisch angesehen werden. Doch kann man in der Mischung dieser beiden Elemente - sexuelle Begierde im Inhalt, Zuruckhaltung bis zur Abstinenz in der Form - die Besonderheit von Grunewalds Werk erblicken. Die Form seiner Gedichte ist ansprechend - fur Grunewald sind das Aussere und die Form an sich Ausdrucksmittel seiner inneren Begierde. Und er ist auf diese

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