die Deutsche Literatur
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FRANZ MEHRING UND DIE DEUTSCHE KLASSIK
HACHIRO YAMAZAKI
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1967 Volume 39 Pages 1-10,129

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Abstract
1) Franz Mehring war eher Historiker als Literaturforscher. Trotzdem aber läßt sich seine Arbeit auf dem Gebiet der Literatur nicht als bloß dilettantisch oder seiner Geschichtsforschung untergeordnet abtun. Dazu hat er uns zu viele wichtige literarische Probleme aufgezeigt. Er hat auf dem Gebiet der Literaturgeschichte große Verdienste, und war ins besondere in der Entwicklung der materialistischen Ästhetik epochemachend. Mehring vertritt bekanntlich die materialistische Geschichtsauffassung. Er sieht in der deutschen Geschichte heftige Klassengegensätze und untersucht alle wesentlichen sozialen Erscheinungen vom Standpunkt des Klassenkampfes aus. So erfaßt er auch die einzelnen Dichter unter dem Gesichtspunkt ihres Klassenbewußtseins.
In der Neuzeit hat wohl kein anderer Staat unter so großen inneren Gegensätzen gelitten wie Deutschland. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erreichten sie ihren Höhepunkt. Thomas Mann beschreibt sie in seiner Rede “Deutschland und die Deutschen” als den deutschen Dualismus, den er bis auf Martin Luther zurückverfolgt. Mehring sucht, als Sozialist vor der ersten deutschen Katastrophe, den Ursprung dieses deutschen Dualismus in der preußischen Geschichte, in der Geschichte des preußischen Militarismus. Zugleich will er die vom preußischen Patriotismus entstellten Klassiker aus den Händen der Gegenseite retten. Erst dadurch erhält, seiner Meinung nach, der deutsche Geist seine eigentliche Gestalt zurück.
2) Mehrings fundamentaler Standpunkt bei der Erörterung der deutschen Klassik ist folgender. Erstens: “Unsere klassische Literatur war keineswegs eine vorwiegend literarische Erscheinung. Sie war ihrem inneren Wesen nach der beginnende Emanzipationskampf des deutschen Bürgertums.” Da das deutsche Bürgertum für seine sozialen, politischen Bewegungen nur einen engen Spielraum hatte, bot ihm einstweilen die schöne Literatur den einzigen Kampfplatz, auf dem es um seine soziale Emanzipation ringen konnte. Zweitens: der Erbe des Geistes der deutschen Klassik ist nicht die Bourgeoisie der Gegenwart, sondern das Proletariat. “Die bürgerliche Gesellschaft kann und wird keine neue Blüte der Literatur mehr erzeugen.”
3) “Die Lessing-Legende” ist Mehrings literarisches Hauptwerk. Hier kann man alle seine Gedanken über die deutsche Klassik erfahren. Mehring hatte unter den Klassikern interessanterweise Lessing und Schiller am liebsten. Er glaubte bei ihnen das stärkste bürgerliche Selbstbewußtsein im 18. Jahrhundert zu finden. Lessing, den Heiligen des preußischen Patriotismus, wollte er als die Gestalt des kühnen Revolutionärs auferstehen lassen, und im Leben und Wirken Schillers sieht er ein Vorbild für die deutschen Arbeiter. Dagegen scheint er eine Abneigung gegen Goethe zu haben. Das ist für uns ein etwas problematischer Punkt. Er glaubt zwar, daß Goethe der größte unter den deutschen Dichtern ist und bleibt, doch war Goethe nach seiner Meinung aristokratischer, mit der Aristokratie versöhnlicher als Lessing und Schiller. Das ist in einem gewissen Sinne wahr. Welcher von beiden aber, Goethe oder Schiller, politischer, bürgerlicher, demokratischer war, läßt sich nicht leicht entscheiden. Thomas Manns Ansicht stimmt auch hier mit der Mehrings in gewissem Grade überein. Er sagt in seiner Abhandlung “Goethe und die Demokratie”: “Die konservative Liebe zum Volkselement, wie Goethe sie kannte und hegte, ist etwas anders als die ideelle und revolutionäre Liebe zur Menschheit, die Schillers pathetische Sache war, ... indem sie ihn zum Sänger eines politisch emanzipierten, die ökonomische Freiheit erobernden Bürgertums machte.”
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