die Deutsche Literatur
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Lessings Schweigen
-“Nathan der Weise” als bürgerliches Schauspiel-
MICHIRU IMAI
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1979 Volume 62 Pages 22-32

Details
Abstract
Lessings Drama “Nathan der Weise” hat eine schiefe Wirkungsgeschichte, wo einmal der Inhalt, das andere Mal die Form des Werkes im zweifelhaften Licht erscheint. Der Autor hatte, unmittelbar nach der Unterbrechung des theologischen Kampfs, in einem seiner alten Dramenentwürfe “eine Art Analogie” zu seinen “gegenwärtigen Streitigkeiten” entdeckt und sich entschlossen, ihn auszuarbeiten. Aber er selber scheint da etwas Problematisches gespürt zu haben. Er führte, das Drama bearbeitend, die religiös-erzieherische Absicht des Werkinhalts viel im Munde, während er jedoch wieder und wieder erklärte, der Entwurf habe schon lange vorgelegen und nur noch auf “die letzte Feile” gewartet. Damit wollte er andeuten, daß die “Analogie” nicht als gekünstelt, sondern als Kerntendenz eines bündigen Dramas betrachtet zu werden verdiene. Dieses Zielen auf die moralische und zugleich ästhetische Wirkung entspräche ungefähr seiner Dramentheorie, welche in der Rührung selbst das jeweilige prodesse sehen will.
Dennoch ließ er ein bißchen Zweifel erkennen, als die mühsame Versifikationsarbeit nahezu abgeschlossen war. An seinen Bruder Karl schrieb er, sein Nathan würde, wenn aufgeführt, im ganzen wenig Wirkung tun, und in einem Entwurf zur Vorrede steht auch: “Wenn man endlich sagen wird, daß ein Stück von so eigner Tendenz nicht reich genug an eigner Schönheit sey-, so werde ich schweigen.”
Als “Nathan” erschien, sparten die Zeitgenossen dem Kunstwerk des autoritären Meisters kein Lobeswort, schwiegen aber seinem religionskritischen Inhalt gegenüber ablehnend oder doch mit großer Verlegenheit. Dabei sei aus einer damaligen Rezension hervorgehoben, daß der Nathan von den Zeitgenossen als “Drama” aufgenommen wurde, ein Dramentyp nämlich, der von der herkömmlichen Tragödie und Komödie zu unterscheiden war. K. Ziegler hat diesen “Dramen” -Begriff als “bürgerliches Schauspiel” bezeichnet, der “einer dramatischen Sondergattung gilt, welche die Regel eines glücklichen Ausgangs mit einer durchaus ernsthaften Problematik zu vereinen weiß.”
Dieses neue Phänomen in der dramatischen Dichtart könnte man so begreifen: Neben Tragik und Komik als ein Drama konstituierendes Prinzip ist jetzt eine Dramatik zum Vorschein gekommen, die, von dem allgemeinen Menschlichkeitsbegriff des Bürgerstandes genährt, die innere Spannung des “Menschen” in einer neuen sozialen oder familiären Wirklichkeit darstellen sollte. Obgleich die Lessingsche Bemühung um ein neues Drama wohl eigentlich dieser Dramatik zugewendet gewesen sei, habe er diese doch seiner Theorie der Tragödie untergeordnet. Daher kämen die oft angedeuteten Mißverhältnisse, die zwischen seiner dramatischen Theorie und Praxis bestünden.
Nach einer Menschengeneration wurde das zeitgenössische Urteil über “Nathan” diametral umgekehrt, welcher Einfluß noch bis heute andauert. Bekannterweise hat Fr. Schlegel vom “Nathan” alles hinausgeworfen, was zur “angewandten Effektpoesie” gehört, um “ein gewisses heiliges Etwas” in ihm zu sichern und es in die Sphäre reiner Poesie zu erhöhen.
Für die Kritik, die sich noch mit der dramatischen Form des Nathan befaßte, wären folgende drei Stellungnahmen stellvertretend. Für Fr. Schiller bedrohte nicht nur “Lessings Konzept der bürgerlichen Form” (P. Demetz) die Integration des dramatischen Gedichts, sondern eben das erschien ihm am problematischsten, daß es weder Tragödie noch Komödie war
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