die Deutsche Literatur
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Ein Versuch zur Erzähltechnik Robert Musils: Bilder und Intention in "Versuchung der stillen Veronika“
KEIKO NAKAGOME
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1981 Volume 67 Pages 93-103

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Abstract

In Bezug auf den zwei Novellen enthaltenden Band "Vereinigungen“ spricht Musil in seinen Briefentwürfen von einem neuartigen Gebrauch der Bilder als Bedeutungsträger. Das Bild sei nicht symbolisch, sondern distinkt, kategorisch, d.h., aussagend und erzählend. Musil überträgt hier den Bildern die Funktion der Sprache, um wegen der Knappheit der Novelle Raumverschwendung zu vermeiden. Es kommt ihm bei der neuen Erzähltechnik auf das Prinzip der "motivierten Schritte“ und auf die "Aneinanderreihung“ der mit mathematischem Wagemut kombinierten Bedeutungszusammenhänge seelischer Elemente an. Diese Erzählhaltung rührt her von seiner Abneigung gegen die Scheinkausalität und Scheinpsychologie nach "Törleß“. In dieser Arbeit werden die Bilder in "Versuchung der stillen Veronika“, einer der zwei Novellen, analysiert, um die Gründe für die Erschwerung der Lektüre der Novelle darzustellen.
Für die Bildersprache der Novelle ist charakteristisch, daß Musil eine Quasi-Wirklichkeit der möglichen Wirklichkeit zu vergegenwärtigen versucht, indem er erstens sichtbare, räumliche Bilder für das Unfaßbare einsetzt; zweitens wird auf das Unfaßbare durch das Prinzip hingewiesen, daß bei dualistischer Kombination eines zugleich das andere aufruft. Doch ein solcher imaginärer Aufbau durch Bilder ist nicht immer sinnfällig. Drittens wird durch die Gestörtheit der Veronika die ein drittes Lebendiges hervorrufende Funktion der polare Begriffe vereinigenden Sprache verstärkt. Veronikas enge, gegen das Gewöhnliche etwas verschobene Perspektive vergegenwärtigt die eigentümlichen Räume mit Bildern. Ihre Blicke werden immer eher mit Sehnsucht auf die belle Weite der erfüllten, traumhaften "Ferne“, auf das "Nochnichtbegangene“ gerichtet als auf die "Nähe“ der Wirklichkeit, die eng, dunkel, leer, wach und regellos aussieht. Im Gegensatz zu dem sinkenden Leben stellt das Verb "wölben“ jeweils erhöhtes Gefühl als den Grenzbereich in der Ahnung des Liebesvollzugs mit Begleitbildern wie "Licht“, "Klang der Töne“ oder "Linen“ dar. Der Grenzwert ist ein "Punkt“. Über die oben angeführten Bilder kann man verhältnismäßig kategorisch urteilen.
In Veronikas traumwachen, gespannten Gedanken ereignet sich "eine geheimnisvolle geistige Vereinigung“ als Scheinkulmination mit "Ichsinnlichkeit“ in einem Schwebezustand; einerseits ist da ihre Vermutung, Johannes sei tot, andererseits der Gedanke, daß er nicht tot ist. Die Geschehnisse vor der Abreise des "wirklichen“ Johannes wiederholen sich in Veronikas Gedanken bildhaft in der Paar-Konstruktion als Schein der Wirklichkeit. Der durch die Technik des Hellsehens entpersönlichte Zustand ohne Unterschiede zwischen dem Selbst und dem Andern ist dem mystischen Zustand bei der begrifflicheren Fernliebe Ulrichs zu der Frau Major ähnlich. Veronikas isolierte, autonome Selbstliebe bzw. Fernliebe neigt zu einer ziellosen Sehnsucht, die in sich ebenfalls mystische Elemente hat.
Aus der Tatsache, daß Musil eine Passage ("Es duckte sich. …Dornenhecke“) aus der Szene der sodomitischen Liebe zwischen Viktoria und Demeter Nagy gegen Ende der vollendeten Vorstufe (das "Verzauberte Haus“), in die Liebesszene der vierzehnjährigen Veronika und eines Bernhardiners eingeführt hat, ist zu schließen, daß Musil die beiden Szenen analogsetzt. Zugleich hat Musil sowohl den Dialog der Liebenden um Gott als auch die tier- und gottbezogen gedachten Bilder,

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