0. Der DDR-Dramatiker Heiner Müller ist nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD sehr bekannt, obwohl die Kritiken seiner Werke oft unterschiedlich und nicht immer zutreffend sind. Um sein Gesamtwerk deutlich zu machen, sollen zwei Dramentypen, nämlich das
"Vorgeschichte“-Drama und das Produktionsstück betrachtet werden.
1. Wie im Prolog zu
"Philoktet“ dargestellt wird, behandelt Müller die Klassengesellschaft in ihren antagonistischen Widersprüchen, wo
"der Mensch Todfeind des Menschen ist“. Müller will die Barbarisierung und Pervertierung des Menschen in einer solchen Gesellschaft zeigen, die für ihn eigentlich nur die
"Vorgeschichte“ der sozialistischen Gesellschaft ist.
"Die Schlacht“, in der die Ereignisse kurz vor der Befreiung vom. Faschismus behandelt werden, besteht aus fünf kurzen Szenen. Während Brecht, der im Exil auf Dokumente und Berichte, also auf Sekundärmaterial angewiesen war, in seinem Stück
"Furcht und Elend des Dritten Reiches“ nach Meinung Müllers die Grenzen des Realismus erkennen läßt, zeigt Müller in der
"Schlacht“ sehr grausam die Extremsituation des Menschen, in der das gegenseitige Abschlachten Bedingung des eigenen Überlebens wird. In
"Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei“ wird das Elend unter dem Militarismus des sadistischen Friedrich des Großen noch durch die Gestalt des zur Schmeichelei gezwungenen, masochistischen Hofgelehrten Gundlings verstärkt dargestellt, und in Müllers
"Macbeth“ bilden die unmenschlichen Machtkämpfe innerhalb der Feudalgesellschaft das Zentralthema des Dramas.
Dasselbe Thema will Müller in einem dramatischen Versuch,
"Philoktet“ demonstrieren. In diesem Stück wird eine entscheidende Veränderung der Schlußlösung herbeigeführt. In der Schlußszene schleppen Odysseus und Neoptolemos den von letzterem getöteten Philoktet nach Troja, um dort, unter der Vortäuschung, er sei von Trojanern ermordet worden, Philoktets Ermordung für den Kampf gegen Troja weiterhin zu mißbrauchen. Auf diese Weise verwandelt der Nachdichter das Stück von Sophokles, das patriotische, kriegerische Gefühle anspricht, in ein Anti kriegsstück.
In der Kannibalismus-Welt der
"Vorgeschichte“-Dramen wird die Notwendigkeit des Tötens deutlich gezeigt, und darum kann das Publikum
"Nein“ zu Faschismus und Krieg sagen und deren positive Kehrseite, nämlich Frieden und Humanismus erkennen. Diese Dramen sind für uns, die wir ständig der Gefahr des
"gewöhnlichen Faschismus“ ausgesetzt sind, sehr aktuell.
2.
"Peter Hacks hat die DDR als eine Märchenwelt erlebt und beschrieben“, so schrieb Müller und kritisierte damit Hacks. Im Gegensatz dazu schrieb Müller selbst viele Produktionsstücke, die die konfliktreichen Vorgänge beim sozialistischen Aufbau behandeln. In diesen Stücken will Müller die Veränderung des Bewußtseins der Arbeiterklasse beschreiben, welches dem neuen Sozialsystem nicht so schnell folgen konnte.
In
"Lohndrücker“ wird die Pioniertat des ersten Helden der Arbeit in der DDR, Hans Garbes (bei Müller: Balke), die vom Gesichtspunkt des Staates aus schon mehrfach literarisch behandelt wurde, vom Gesichtspunkt der Kollegen neu verfaßt: ihm brachte die Leistung Balkes zwar eine vierfache Prämie ein, aber andere Kollegen befürchteten, es könnte daraus eine generelle Erhöhung der Norm resultieren. Sie beschimpften ihn als
"Verräter der Arbeiter, Lohndrücker“. Die Schlußszene aber zeigt,
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