die Deutsche Literatur
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Geschichtsbewußtsein und ästhetische Kategorie beim frühen Friedrich Schlegel
ATSUKO ONUKI
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1986 Volume 77 Pages 96-106

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Abstract

Schlegels Jugendschrift "Über das Studium der griechischen Poesie“ ist gekennzeichnet durch seine eigene Einstellung zur Geschichte, wobei er unter Geschichte in Anlehnung an Herder eine organische Entwicklung der Menschheit versteht. In dieser Schrift richtet sich sein Interesse vor allem darauf, für die geschichtliche Entwicklung ein einheitliches Prinzip -eine Theorie- zu finden. Und these Theorie der Geschichte soll auf eine Ästhetik zielen. In dieser Schrift versucht Schlegel, der modernen Poesie gegenüber der Antike eine Geltung zu verschaffen, die ihrer Eigentümlichkeit gerecht wird. Obwohl er das Ideal der Schönheit bei den Griechen vorbildlich realisiert sieht, ist er sich durchaus bewußt, daß dies Schönheitsideal nicht mehr auf die Moderne übertragbar ist. Denn die Moderne erscheint ihm als eine vom vergangenen Zeitalter grundverschiedene neue Zeit, für die keine Lebenstotalität mehr, wie sie in der griechischen Kunst noch verkörpert war, möglich ist. Statt in der Moderne die klassische Schönheit zu rehabilitieren, versucht er, sie zu historisieren. Das bedeutet: aufgrund der geschichtlichen Einsicht, daß die antike Welt nicht wiederholbar ist, erkläart er dieses vergangene Vorbild zum Ideal für die kommende moderne Poesie-ein Ideal allerdings, das nie zu erreichen ist, und zu dem nur eine unendliche Annäherung möglich ist. Diese Unerreich-barkeit des Ideals ergibt sich aus dem menschlichen Bewußtseinsstand in der Moderne. Der Prozeß der Aufklärung, durch den die Moderne eingeleitet worden ist, ermöglichte menschliche Freiheit durch eine Entzauberung der bisher magisch gedeuteten Naturgewalt. Gleichzeitig wurde die Einheit des Weltbildes und somit die unmittelbare Einheit von Natur und Mensch zerstört, weil der Mensch sich seiner selbst in Abgrenzung zur Natur bewußt wurde. In diesem Prozeß, der als Totalitätsverlust erfahren wurde, entsteht ein Bedürfnis nach Wiedergewinnung der Totalität, die aber nicht im geschichtlichen Rückgang möglich ist. Sie ist nur zu gewinnen durch Reflexion.
Schlegels Versuch, der modernen Poesie die Objektivität zu geben, zielt darauf, die Trennung von Natur und Kunst sowie Gesellschaft und Kunst aufzuheben, so daß die Kunst eine alle menschlichen Tätigkeitsbereiche umfassende Funktion erhalten kann. Für dieses Projekt setzt er die "ästhetische Reflexion“ ein. Im Unterschied zu Kant, der der Urteilskraft Erkenntnisfähigkeit abspricht, schreibt Schlegel dem ästhetischen Vermögen eine besondere Erkenntnisfähigkeit zu, die alle Erscheinungen der Sittlichkeit wahrnimmt. Damit glaubt er, die Grenze der praktischen Philosophie Kants überwunden zu haben, in der Theorie und Praxis nur noch formal durch Geschmack vereint sind. Auf dieser theoretischen Grundlage konzipiert Schlegel ein System der praktischen Wissenschaft, in dem ästhetisch vermittelte Erkenntnis gleichzeitig Praxis sein kann. Bei einer genaueren Betrachtung aber läßt sich feststellen, daß hier mit "Praxis“ kein soziales konkretes Handeln gemeint ist. Den Begriff "Praxis“ entlehnt er Fichte, der "Handeln“ mit dem "Sich-Setzen“ des reinen Ich gleichsetzt. Daraus läßt sich schließen, daß "Sittlichkeit“, die zu erkennen die Aufgabe seines Systems ist, nichts anderes bedeutet als die absolute Freiheit des reinen Ich. Die Geschichte, der Werdensprozeß des Menschen, wird dadurch ein ästhetischer Selbsterzeugungsprozeß eben als Kunst.
Vom Standpunkt der absolutes Freiheit aus lehnt er alle gesellschaftlichen Institutionen in der bürgerlichen Gesellschaft ab, die die Absolutheit der Freiheit beschränken.

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