die Deutsche Literatur
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Grimms Sage "Traum vom Schatz auf der Brücke“
Schriftliche und mündliche Überlieferungen eines Erzähltypus
TAKESHIGE TAKEHARA
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1991 Volume 86 Pages 71-84

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Abstract

In den Grimmschen "Deutschen Sagen“ (2 Bde, 1816-18) findet sich eine Version des "Traums vom Schatz auf der Brücke“ (I, Nr. 212) etwa folgenden Inhaltes: Ein armer Mann träumt, er solle nach Regensburg auf die Brücke gehen, wo er einen großen Schatz finden werde. Er sucht ihn dort vergeblich, trifft aber während des Suchens einen reichen Kaufmann, der ihm von einem ähnlichen Traum erzählt, nach dem unter einem bestimmten großen Baum ein großer Kessel mit Geld begraben sei. Aber er glaube nicht daran, denn Träume seien Lügen. Der arme Mann geht dagegen hin und findet dort wirklich einen großen Schatz. In diesem Aufsatz betrachte ich auf Grund der Studien von J. Bolte, L. Röhrich usw. den Typus der Schatztraumerzählung, wie er sich in schriftlichen und mündlichen Überlieferungen in Europa und Vorderasien findet.
In Deutschland wurde die Sage schon früh an der berühmten Regensburger Steinernen Brücke lokalisiert. Die älteste Fassung steht in einer lateinischen Sammlung des 14. bis 15. Jahrhunderts, der "Mensa philosophica“. In Regensburg spielt auch die kurze Fassung, die J. Agricola zu Nr. 623 seiner Deutschen Sprichwörter "Trewme sind lügen“ aus mündlicher Tradition anführt. Diesen Text haben die Brüder Grimm in ihre Sagensammlung übernommen. Agricolas Erzählung hat E. Eyring in Verse gebracht. Der Reim "Brück“-"Glück“ spielt auch in späteren Aufzeichnungen aus dem Volksmund eine Rolle.
In Deutschland wurde die Sage dann im Vogtland lokalisiert: Der Bauer, der nach seinem Traum zur Regensburger Brücke gepilgert war, wird hier wieder in seinen Vogtländer Heimatort verwiesen. Die Sage finden wir auch in Rheinland-Pfalz. Die Sage "Der Traum vom Schatz auf der Koblenzer Brücke“ z.B., die von K. Lohmeyer 1908 in Birkenfeld aufgezeichnet wurde, erwähnt den Familiennamen des Träumers "Engel“. Lohmeyer konnte ihn mit einer Waldrohdung "Engelsrodt“ aus dem 16. Jahrhundert in Verbindung bringen.
In der Tschechoslowakei bietet die Sage auch eine regionale Besonderheit: Die Fassung von J. Svátek schreibt die Schatzfindung auf der Prager Brücke einer Verheißung des heiligen Johannes von Nepomuk zu. In den Niederlanden berichtet die Fassung von J. Folgers über einen verschwen-derischen Jüngling zu Dordrecht, den sein Traum auf die Brücke zu Kampen wies und der von dort zu einem Hagebuttenstrauch in Dordrecht zurückverwiesen wurde. In England hat J. Jacobs die Aufzeichnung von A. d. 1. Pryme "The Pedlar of Swaffham“ als Nr. 63 in seine "More English Fairy Tales“ übernommen: Der Hausierer, der einen großen Schatz nicht auf der "London Bridge“, sondern in seinem Heimatort findet, erweist nachträglich seine Würde, indem er eine Kirche neu erbaut. Weitere europäische Varianten werden auch für Litauen, Schweden, Island, Schottland, Irland, Frankreich, Spanien, Ungarn und Griechenland nachgewiesen.
Trotz aller Verschiedenheiten im einzelnen gehen diese europäischen Sagen auf ein gemeinsames mittelalterliches Original zurück: das französische Epos "Mainet“ über die Jugend Karls des Großen aus dem 12. Jahrhundert. Der älteste seither bekannte deutsche Text stammt aus der niederrheinischen Bearbeitung des "Karlmeinet“, die bald nach 1300 entstanden ist. Am Anfang des Epos steht die Erzählung vom Traumschatz: In Balduch, einem Dorfe bei Paris, wohnten zwei Brüder Hoderich und Haenfrait. Der von einem Zwerg im Traum erhaltenen Anweisung gemäß, er solle auf der Pariser Brücke, Lieb und Leid‘ erfahren,

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