Abstract
Akzentloses [I], wie in "-lich“, "-ig“ oder "-isch“ ist als eine Variante von Schwa [_??_] zu betrachten; das erstere erscheint vor hohem Konsonanten, das letztere in anderen Positionen. Andererseits wird der stimmlose dorsale Frikativ (sog. ch-Laut) nach hinterem Vokal als [x] und nach vorderem als [ç] realisiert. Nach dem akzentlosen [I] wird "ch“ zwar als [ç] realisiert, wenn das [I] aber eine Variante von Schwa ist, das ein Zentral- oder Hintervokal ist, muß das "ch“ nicht unbedingt [ç] sein. In dieser Arbeit wird auf der Basis der lexikalischen Phonologie, Merkmalsgeometrie und Unterspezifizierung diskutiert, wie der ch-Laut und die Schwa-Variante [I] abgeleitet werden, was regelmäßig zu der Notwendigkeit der Realisierung von "ch“ als [ç] nach Schwa führt.
Die lexikalische Phonologie nimmt an, daß das Lexikon aus einigen geordneten Strata oder Ebenen besteht, in denen Interaktion von Morphologie und Phonologie stattfindet. Die Strata klassifizieren die morphologischen Prozesse und bestimmen die Anwendungsdomänen der phonologischen Regeln. Für das Deutsche nehme ich zwei Strata an, in deren erstem Akzentzuweisung zu Wörtern stattfindet. Akzentbeeinflussende Suffixe werden also im ersten Stratum eingeführt, viele akzentneutrale dagegen im zweiten; die ersteren Suffixe können nicht außerhalb der letzteren erscheinen.
Die Merkmalsgeometrie ist eine hierarchische Organisation der distinktiven Merkmale, von denen bestimmte Gruppen als Einheiten fungieren. Distinktive Merkmale werden also von dominierenden Knoten gruppiert und die Knoten selbst von noch höheren. Jedes Merkmal und jeder Knoten bildet seine eigene Schicht und es ist möglich, daß zwei Segmente ein und dasselbe Merkmal oder denselben Knoten teilen.
Die Theorie der Unterspezifizierung behauptet, daß redundanzfreie Repräsentation eine natürliche Erklärung der phonologischen Prozesse ermöglicht. Ich nehme an, daß Schwa für Place-Knoten und davon dominierte Bereiche unspezifiziert ist, während die anderen Vokale nicht nur für Place-Knoten, sondern auch für davon dominierten Dorsal-Knoten spezifiziert sind. Ferner nehme ich an, daß "ch“ für Place-Knoten aber nicht für Dorsal-Knoten spezifiziert ist.
Da nun das Stratum-2-Diminutivsuffix "-chen“ auch nach hinterem Vokal immer mit [ç] beginnt, ist es wahrscheinlich, daß sich die Wirkung des vorangehenden Vokals auf "ch“ nur im ersten Stratum vollzieht und "ch“, das von dieser Wirkung frei ist, automatisch zu [ç] wird. Von der Wirkung des Vokals auf "ch“ nehme ich an, daß sie die Ausbreitung des Dorsal-Knotens auf ein Segment ohne diesen Knoten ist, was die Distribution des ch-Lautes naturlicherweise und problemlos erklären kann. Daß Schwa keine Place-Spezifizierungen hat, erklärt andererseits, daß es vom folgenden Konsonanten die Spezifizierung [+hoch] bekommt und schließlich zu [I] wird. Seine Unspezifiziertheit im ersten Stratum, die vom Stratum-2-Suffix "-lich“ festgestellt wird, versichert ferner, daß Schwa den ch-Laut nicht beeinflussen kann und deshalb kann "ch“ nach Schwa nur als [ç] realisiert werden.