Neue Beiträge zur Germanistik
Online ISSN : 2433-1511
Aufsätze
Zum Charakter der Pseudokoordination im Niederdeutschen
Nobuharu KAKUCHI
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2022 Volume 164 Pages 193-210

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Abstract

  Die Pseudokoordination ist eine Verbalkonstruktion, bei der zwei koordinierte Verben ein einziges Ereignis bezeichnen. In zahlreichen Wörterbüchern und Grammatiken wie etwa Bernhardt (1903: § 15.1.a), Schl.-Holst. Wb. (Bd. 1, Sp. 333, 336, 347-348) oder Thies (2017: 66-67, 72) ist nachzulesen, dass im Niederdeutschen die koordinierende Konjunktion un neben der subordinierenden Struktur mit to-Infinitiv benutzt wird wie in Nu füng he an un snack vun fröher „Nun fing er an und redete von früher“ bei Höder (2012: 186). Im Niederdeutschen kann man ebenfalls bei einigen Aspektverben eine Pseudokoordination bilden. In der Forschungsliteratur werden diesbezüglich anfangen „anfangen“, begünnen „beginnen“, biblieven „bei-bleiben“, bigahn „bei-gehen“, bikamen „bei-kommen“, biwesen „bei-sein“ und wesen „sein“ genannt. Zweck des vorliegenden Beitrags ist zum einen die niederdeutsche Pseudokoordination empirisch zu untersuchen und zum anderen den Charakter dieser Konstruktion durch den Vergleich mit den Pseudokoordinationen im Schwedischen und im Afrikaans zu beschreiben.
  Der empirische Teil des vorliegenden Beitrags stützt sich auf zwei Fragebogenuntersuchungen, die die Lücke der empirischen Untersuchung zur niederdeutschen Pseudokoordination füllen. Die erste Erhebung wurde im November 2018, und die zweite im April 2019 durchgeführt. Bei der ersten Erhebung haben 191 Gewährspersonen, bei der zweiten Erhebung 78 Gewährspersonen teilgenommen. Der Großteil der Gewährspersonen stammt aus dem Bundesland Schleswig-Holstein. In einem ersten Schritt wurde untersucht, welche Verben als erstes Element dieser Konstruktion (hier V1 genannt) genutzt werden können. Exemplarisch werden fünf Aspektverben (anfangen, biblieven, bigahn, biwesen und ophören „aufhören“) untersucht, ebenso wie das absentivische wesen und zwei Verben, die einen to-Infinitiv verlangen. Von den acht untersuchten Verben wurden die vier Aspektverben anfangen, bigahn, biwesen und biblieven von den Gewährspersonen akzeptiert, das Aspektverb ophören sowie das Absentivverb wesen jedoch als unnatürlich beurteilt. Ebenso wurde das Verb versöken „versuchen“ als natürlich bewertet. Im weiteren Verlauf geht die Arbeit der Frage nach, in welchem syntaktischen Kontext die Pseudokoordination auftreten kann. So argumentiert etwa Höder (2012: 187), dass diese Konstruktion im negierten Satz nur eine Negationspartikel fordert, Wiklund (2007: 103) dagegen weist darauf hin, dass bei der Pseudokoordination im Schwedischen auch ein W-Fragesatz sowie eine Topikalisierung des V2-Objekts möglich seien. Im zweiten Fragebogen wurden demnach negierte Sätze, Imperativsätze, ein W-Fragesatz und ein Satz mit der Topikalisierung zur Aufgabe gestellt. Sowohl der W-Fragesatz als auch der Topikalisierungssatz wurden als unnatürlich bewertet.
  Aus den Ergebnissen der Fragebögen lässt sich folgende These ableiten: Die niederdeutsche Pseudokoordination hat syntaktisch eine koordinierende Struktur. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass in der niederdeutschen Pseudokoordination zwei Verben aufgrund der Koordinationssemantik kombiniert werden können; da in diesem Fall lediglich V1-Konstruktionen akzeptiert wurden, die den Anfang oder die Dauer einer Handlung bezeichnen.
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