Franz Brendels Terminus "Neudeutsche Schule" und dessen Begriffswandlung

Abstract

Der 1859 von Franz Brendel gepragte Terminus "Neudeutsche Schule" ist unvergleichlich problematisch. Der Ausdruck ist "ausserordentlich komplex" (Gut 1986) und "die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit [der Schule zahlt] auch heute noch immer zu den grossen Desideraten der Musikwissenschaft" (Altenburg 2006a). Nicht einmal ist eine grundlegende Begriffsbestimmung moglich und es ist deshalb keineswegs eindeutig geklart, welche Phanomene und Komponisten in der Musikgeschichte die "Neudeutsche Schule" pragen. Was ist die "Neudeutsche Schule"? Auf wen bezieht sich dieses Wort? Um diese terminologische Unscharfe zu klaren, richtet dieser Artikel sein Augenmerk besonderes auf die Tatsache, dass der Terminus "Neudeutsche Schule" wenige Jahre nach Brendels Vorschlag einen semantischen Wandel erfuhr. Als Alternative zum Wort "Zukunftsmusik", das haufig als Stichwort im musikalischen Streit der 1850er Jahren auftaucht, meinte Brendel mit der Bezeichnung "Neudeutsche Schule" zunachst das "Triumvirat" Berlioz-Liszt-Wagner. Anfang der 1860er Jahren wandelte sich der Begriff jedoch von "Triumvirat"-Schule zur Wagner-Liszt-Schule und dann zur Liszt-Schule. Innerhalb eines Jahres wurde diese neue Gruppierung von Liszt und seinem Kreis fast zum Synonym fur den im August 1861 gegriindeten Allgemeinen Deutschen Musikverein (ADMV). Diese offizielle Organisation ist vor allem das Verdienst der Schiller und Anhanger Liszts wahrend seiner Weimarer Jahre (1848-61), namentlich Biilow, Cornelius, Bronsart, Ritter, Pohl, Tausig, Damrosch, Pruckner, Brendel selbst und andere, und diente als eine gemeinsame Plattform fur die Verbreitung ihrer Ideen. Mit Liszt und den anderen neuen Mitgliedern erhielt der Begriff "Neudeutsche Schule" einen neuen Sinn, der den groBen Kreis der fortschrittlichen Musiker einschlietet, die sich um die Verbreitung und Forderung zeitgenossischer Musik in ganz Europa bemuhten.