In dieser Abhandlung wird die Entwicklungstendenz der Dramaturgie Volker Brauns in den 70er Jahren anhand der beiden Stücke
"Tinka“ (1972/73) und
"Schmitten“ (1969/78) behandelt. Braun hat bis heute in seinen etwa 10 Stücken versucht, die nicht mehr antagonistischen, aber doch noch existierenden Widersprüche in der von der Klassenherrschaft befreiten Gesellschaft herauszufinden, diese als Triebkraft der gesellschaft-lichen Entwicklung der DDR dem Publikum vorzustellen und damit zur Herausbildung einer in allen Bereichen des Lebens freien Menschengemeinschaft beizutragen. Nach der Ansicht Brauns sei die menschliche Befreiung ein langer Prozeß. Seine Aufgabe als Dramatiker bestehe deshalb darin,
"die jeweiligen Widersprüche, die ihn [den langen Prozeß] machen“
"stückweise, in Stücken, sich äußern“ zu lassen. Der bewegliche Widerspruch, so nennt er die neuartigen Widersprüche im Sozialismus, erfordere die Spannung in der Sprache der Figuren einerseits und eine Vieldimensionalität im Aufbau der Handlung und der Figuren andererseits.
Vom gemeinsamen Stoffkomplex ausgehend, sind die Themen unserer beiden Stücke, die Unterforderung der Frau (
"Tinka“) und die Überforderung derselben (
"Schmitten“) komplementär. Obwohl
"Tinka“ in einem Produktionsbetrieb spielt, ist es alles andere als ein
"Produktionsstück“. Der Widerruf des geplanten Automatisierungsprojektes, dessen Folge vielen Ingenieuren und Arbeitern Depressionen verursacht, gibt nur den Ansatzpunkt zum Konflikt. Es geht nicht so sehr um das Für oder Wider gegenüber dieser Maßnahme, sondern um die Haltungen der Menschen angesichts der veränderten Lage. Die Haltung ihres Geliebten Brenner gefällt Tinka nicht. Er verhält sich nämlich, als ob er mit dem neuen Beschluß zufrieden sei. Aber durch eine Hintertür versucht er, ihn ändern zu lassen, ohne offen darüber diskutieren zu wollen. Mit diesem Theatermodell provoziert Braun den Zuschauer zu einer kritisch-produktiven Haltung im gesellschaftlichen Leben.
In
"Schmitten“ dagegen werden die ungelernten Arbeiterinnen zum Weiteriernen provoziert. Die Meisterin Schmitten gewinnt ihre Kolleginnen dafür, aber selbst erklärt sie sich dazu nicht bereit, weil sie denkt, dazu sei sie zu dumm. In der neuen Gesellschaft herrschen noch die Reste der überholten Denkungsweise, obwohl sie in den materiellen Bedingungen des Sozialismus keine feste Basis mehr hat. Daß sie erst die Kastration ihres Geliebten Kolb von ihrem Minderwertigkeitskomplex befreit, wäre symbolisch zu deuten. In den beiden Stücken wird der Fragenkomplex der Frauen-Emanzipation behandelt. Hier scheinen Leistungspriorität und Heuchelei als das männliche Prinzip schlechthin angesehen zu sein, dagegen kompromißloser Rigorismus und Glücksverlangen als das weibliche. Diese Einstellung wäre zwar der Sache selbst nicht gerecht, aber als Spiel sollte sie doch gerechtfertigt werden. Zumal es sich hier um die Emanzipation der Frauen als eine notwendige Seite der menschlichen Befreiung handelt.
In der Gestaltungsweise ist die Entwicklung von
"Tinka“ zu
"Schmitten“ evident. Die bündige Sprache der Figuren mit Wortspielen und metaphorischen Zügen hat in
"Schmitten“ durch die Parodierung der Gemeinplätze, der Sprüche und nicht zuletzt der politischen Schlagworte die sozialkritische Haltung noch verstärkt. Die Überschneidung von Prosa und Vers, von freien Rhythmen und Blankvers, von Hochsprache und Umgangssprache gibt dem Geschehen eine vielschichtige Perspektive.
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