Bei den Gedichten Gottfried Benns ist immer die Rede von dem Primat der Form, und damit glaubt man manchmal Wesentliches von seinem Dichten gesagt zu haben. H. E. Holthusen sagt einmal: Grenzenlose Panästhesie und ein nihilistisches Allgefühl sei das Element, in dem Benn sich formschaffend, auswählend zu behaupten habe. Hier ist wie selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Form etwas Ästhetisches ist. Der ästhetischen Form im modernen Sinne steht der Inhalt oder die Wirklichkeit als Gegensatz gegenüber. Nun ist bei Benn dieser Gegensatz schon deshalb sinnlos, weil die ästhetische Form selbst sinnlos ist. Theoretisch betrachtet, ist die Form bei Benn ein viel älterer Begriff als der in der modernen Literatur. Sie entspricht der Form des Aristotelischen Dualismus, der im Gegensatz von Form und Materie besteht. Trotz allem, was Aristotelische Philosophie ins europäische Geistesleben brachte, hatte sich das christliche Europa unaufhörlich mit jenem Dualismus auseinanderzusetzen, weil er gerade dem Kernsatz der christlichen Lehren, d. h. der Weltschöpfungs- und Weltbe-jahungslehre widerspricht. Es ist die große Leistung der deutschen Idealisten, vor allem Schellings und Hegels, daß sie mit ihren Systemen der Vernunft den antiken Dualismus endgültig überwanden. Seither glaubte man, daß das Wirkliche vernünftig und das Vernünftige wirklich sei; und auf diesem Glauben wurden alle Werte des öffentlichen und privaten Lebens begründet. Nun aber waren am Ende des 19. Jahrhunderts die alle Werte begründenden Systeme, Ordnungen schon hinfällig geworden; dagegen lebten jetzt bodenlos gewordene Werte noch immer ein “Scheinleben”. Darum versuchte Nietzsche seine “Umwertung aller Werte”, überzeugt davon, daß eine neue Wertsetzung möglich sei. Insofern war auch Nietzsche ein Idealist.
Die Situation, worin Benn lebt, denkt und dichtet, ist viel schlimmer und hoffnungsloser. Aber um überhaupt leben und dichten zu können, muß man an etwas glauben. So glaubte Benn nur an “gewisse Einzelheiten” von der Wirklichkeit, die noch nicht in jenen alten Systemen und Ordnungen eingeordnet waren, nämlich an einen Namen, ein Ding und eine Sache. Dagegen “begegnete er dem Rausch der Wirklichkeiten mit Distanz” (Holthusen). “Das Pathos der Distanz” dieses “Intellektualisten” spricht sich überall in der Gedichtsammlung “Statische Gedichte” aus, dabei verrät es sich manchmal als “das Ethos der Form”. Und dann kommt die Entspannung des Pathos und Ethos-in vielen Gedichten in “Aprèslude”. Hier ahnen wir, daß der Leidensweg des Dichters zur Ruhe (vielleicht “des Herrn”) führt.
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