"Buddho und die Natur“ (1921) ist die erste der Schriften, in denen Alfred Döblin in den 20er Jahren seine existentielle Naturphilosophie entwickelte. In diesem Essay handelt es sich um seine neue Weltanschauung, die durch ihre selbstlose Naturverehrung von der bisherigen fatalistischen ausdrücklich absticht. Was es mit dieser plötzlich wirkenden Weltanschauung auf sich hat, wird hier an diesem Essay untersucht. Es hat sich herausgestellt, daß Döblins Buddha-Bild dabei eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
In der verworrenen Nachkriegszeit war Döblin sozusagen in einer Lebenskrise. Wenn man in seiner autobiographischen Skizze
"Doktor Döblin“ (1918) nachschlägt, begegnet man dem offenen, kritischen Inneren des sich den Vierzigern nähernden Döblins wie sonst niemals zuvor: Verlustgefühl und Kraftlosigkeit, Neid und Einsamkeit, Trauer um die verlorene Jugend und Altersangst usw. Bemerkenswerterweise verbinden sich in der rücksichtslosen Selbstdarstellung die regressiven Regungen innerlich immer mit der Natur. Die Natur, hier der Wald, erscheint ihm sogar wie
"ein schöner weltfremder Raum“. Es liegt also die Vermutung nahe, daß seine Naturverehrung nachher im Essay als ein Ersatz des unerfüllten Lebens zu deuten ist. In der Natur hat er zu einem bisher unerreichbaren Lebensgefühl gelangen können. Wie sollte man aber dann deren Plötzlichkeit erklären? Jedenfalls kann man feststellen, daß im Hintergrund seiner Naturverehrung und seiner naturphilosophischen Überlegungen folgende drei Motive stehen: das Verlustgefühl im Leben, das unglückliche gesellschaftliche Bewußtsein wegen der mißlungenen deutschen Revolution und die Naturbindung.
Da begegnet Döblin Buddha. Es ist leicht zu vermuten, daß die Milde und die Erhabenheit des asketischen, weltflüchtigen Buddhas, wie man ihn sich damals im allgemeinen in Europa vorstellte, beim sentimentalen Döblin auf Sympathie stieß. Das waren aber nur die Ansätze. Er versucht Buddhas
"Zustand, in dem er lebt“, weiter nachzuempfinden, findet ihn nicht so asketisch, wie es scheint, sondern eher frei und tätig. In diesem freien, tätigen Zustand besteht Döblins Buddha-Bild. Das ist aber wieder ein sehr buddhistischer oder zentischer Zustand. Die tätige Freiheit im buddhistischen Sinne, die man erst durch die Welt- und Selbstverneinung erreichen kann, ist nicht individualistisch, sondern eher ethisch und barmherzig, weil es sich da um das Selbstbewußtsein eines kosmischen Daseins als Folge der unzähligen Ursachen und Bedingungen handelt. Mit der Erkenntnis dieses tätig-freien Zustandes eröffnet sich Döbiln neue Möglichkeiten des Handelns. Man könnte hier einen positiven Anlaß zu seiner plötzlichen Naturverehrung vermuten. Denn Buddhas Freiheit ist ihm im doppelten Sinne wertvoll. Sie ist erstens dem Gesellschaftskritiker Döblin als eine neue Norm des gesellschaftlichen Handelns wertvoll, weil man da die grausige
"Stachelung von außen“ wie beim Christentum, aber auch nicht den freien Geist von Nietzsche
"auf blind vitalem Boden“ nicht mehr braucht.
Zweitens aber ist sie auch persönlich dem, geknickten‘ Döblin als ein praktisches Prinzip wertvoll, weil man dadurch imstande ist, sich über alltägliche Verhältnisse hinwegsetzend zu handeln: Wenn die niederzerrenden Fesseln fallen,
"so erlischt die Kleinheit, Gehässigkeit, Spitzfindigkeit, Leidenschaftlichkeit, Angst, Besorgnis, Langweile. Nicht zu dieser Welt, der Konvention, der falschen historischen, begriffsverdrehten, kehrt man zurück, aber doch zu dieser Welt, man gelangt erst zu dieser Welt.
抄録全体を表示