die Deutsche Literatur
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Die erfüllte Zeit des Gedichtes bei Beda Allemann
SADASUKE YAMAMOTO
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1975 Volume 54 Pages 1-10

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Abstract

In dem Vortrag «Über das Dichterische» hat Beda Allemann eine These aufgestellt, jedoch eher als Frage, die selbst erst noch gründlich erörtert werden muß. Sie lautet: “Das Wesen des Dichterischen-Der Rhythmus.” Unter dem Rhythmus darf man dabei nicht eine der Einzelheiten des Gedichtes verstehen wie den Reim, das Metrum usw. Der Rhythmus bezeichnet hier nach Allemann den Inbegriff dessen, was uns als erstes vom Gedicht her trifft. Das Gedicht steht also, noch bevor wir uns über seine dichterische Struktur klar geworden sind, in seiner rhythmischen Gestalt unwiderruflich vor uns. Es ist zwar nicht zu verleugnen, daß der Rhythmus wesentlich eine temporale Struktur hat. Die Zeit aber, die ihn im Innersten durchdringt, ist nicht ein linearer Ablauf der Uhrenzeit, sondern eine in der höheren Sphäre gespannte, erfüllte Zeit. Wiederholung z. B., die einer der wesentlichen Grundzüge des Rhythmus sein soll, muß streng unterschieden werden von der bloßen Repetition, die nur aus dem linearen Zeitablauf besteht. Sie soll nämlich als “das Wieder-einholen des Vergangenen in die reine Gegenwart des Gesagten”, oder besser als “dichterisches Wiederschöpfen des Ursprünglichen” begriffen werden. Den Rhythmus als das Wesen des Dichterischen muß man also tief geschichtlich auffassen. Dahinter steht die Grunderkenntnis Allemanns, daß der von der inneren Geschichtlichkeit des Daseins bestimmte, dichterische Rhythmus und der große Rhythmus der Natur selbst, obwohl sie keineswegs das gleiche sind, aus einem gemeinsamen verborgenen Grund hervorgehen. Diese Grundlage der Allemannschen Poetik stammt offensichtlich aus dem Zeit- und Geschichtsbegriff Heideggers. Aber nicht weniger ist zu übersehen, daß hinter dieser Auffassung des Rhythmus auch der magische Idealismus Hardenbergs liegt. In diesem Sinne könnte man mit Recht sagen, daß Allemann mit dieser Untersuchung des Dichterischen darauf zielt, “einen echt geschichtlichen Bezug zur Frühromantik” zu gewinnen.
Dieser Rhythmus-Begriff hat nun eine tiefe Verwandtschaft mit der Rilkeschen “Figur” in der Rilke-Monographie Allemanns. Was beide Begriffe verknüpft, ist gerade die sogenannte erfüllte Zeit, wo sich nach Allemann die Dimensionen der Zeit aus der bloßen Uhrenzeit gelöst in einem höheren Gegengewicht versammeln sollten. In dieser erfüllten Zeit vollzieht sich nämlich der dichterische Rhythmus und geht auch die Rilkesche “Figur” auf. Gerade deshalb bezeichnet Allemann die Figur als “die Bewegungskurve des Gedichtes in ihrer Einmaligkeit”, die nichts anderes als die Grundbestimmung des dichterischen Rhythmus ist.
Aber in dieser erfüllten Zeit ist es auch, wo jene Verwandlung der dichterischen Worte ins Unberührbare eigentlich geschieht, wie Rilke in einem Brief geschrieben hat. Daß die Worte jene Spannung der Dimensionen der Zeit in sich tragen, nämlich daß sie im Schöpfungsprozeß des Dichters als Rhythmus aufgenommen werden, ist daher die unerläßliche Bedingung der Hervorbringung eines Gedichtes. Allemann erörtert in derselben Hinsicht die Auseinandersetzung Benns mit den Worten, nachdem er das tiefere, hinter dem scheinbaren Antihistorismus Benns liegende Verhältnis zur Geschichte enthüllt hat. Nichts anderes ist es als dieser eigentliche Geschichtsbegriff, der Benn zur Konzeption der “Geologie des Ich” getrieben hat. In dieser “Geologie des Ich” bekommen die Worte ihre innere Geschichtlichkeit und erreichen den eigentlichen dichterischen Rang. In diesem Zusammenhang muß es verstanden werden, wenn in «Ironie und Dichtung» auch von der temporalen Struktur der dichterischen Sprache die Rede ist

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