die Deutsche Literatur
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“Ausdruckskrise und Anfälle von Erotik”
Über die Problematik der Wortmontage bei Gottfried Benn
YUH YAMAMOTO
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1975 Volume 54 Pages 11-21

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Abstract

Hinter der Erklärung des Gescheitertseins, die Benn im Nachwort zu den Gesammelten Schriften 1922 abgab, stand die tiefste Sprachskepsis. Das war fast Negation der Sprache, wohl weit tiefer als Nietzsches Sprach-kritik oder Hofmannsthals Sprachverlust im Chandosbrief. Wie er im Gedicht “Fleisch” sagt, besteht zwischen “Gehirn” (Bewußtsein) und “Stein” (Faktizität) eine tiefe, fast unüberbrückbare Kluft, und vor der Wirklichkeit ist das Gehirn nur “ein Irrweg”, und Worte sind, schon vom Seinsbezug getrennt, nichts anderes als “Geplärr im Denkzentrum”, weil sie schon ihre informativen, signifizierenden und symbolischen Funktionen verloren haben. Die pejorisierende Metapher “Blutschande” stellt aufs schärfste den kritischen Zustand dar, daß wir Worte ausschließlich im bloßen Bewußtsein “hervorgehurt haben”. Bis dahin hatte Rönne-Benn, um diese Kluft zu überbrücken, in einer Assoziationskette ohne Gedanken-kontrolle die Möglichkeit eines geheimen Aufbaus jenseits jedes Bezugs-systems ahnen wollen. “Die strömende enthirnte matte Getragenheit” sieht er in der Assoziation: Maita, Name einer Zigarette, den er auf einem Glasschild sah, -Malta-Strände-leuchtend-Fähre-Hafen-Muschelfresser-Verkommenheit... Er wünscht nur deswegen “ein Sterben hin in des Meeres erlösend tiefes Blau”, weil er durch die Zersprengung der logisch-diskursiven Begriffssprache und der erstarrten Apperzeptions-formen ein prälogisches Leben hervorrufen will. Aber die Wörter, die nur durch die intuitive Assoziation in Analogie von “signifiant” oder “signifié” ausgewählt und paradigmatisch verbunden sind, darf man wohl mit dem “signe délirant” vergleichen, das nie zur Transzendenz gelangen kann. Wenn die Assoziation abbricht, weil sie nicht ewig fortdauern kann, so fängt das Denken wieder an zu analysieren, und dann steht da wieder das Bewußtsein dem rauh zerbrochenen Querschnitt der Wirklichkeit gegenüber. Hier kann man dasselbe dreifache Bewegungsgefüge erkennen, wie es H. Friedrich in Bezug auf Rimbaud beschreibt: “wühlendes Deformieren der Realität, Drang in die Weite, Ende im Scheitern, weil die Realität zu eng, die Transzendenz zu leer ist”. Benn sieht 1922 seine bisherigen Arbeiten als “vasomotorisch labil, neurotisch inkontinent, Schizothymien statt Affekt” an und wirft alle hinter sick. Das ist ein klares Anzeichen für die Ausdruckskrise der Zeit und zugleich ein Prodromalsymptom seiner neuen Versuche.
Einige Jahre später erscheint eine ganz neue Art von Gedichten wie “Der Sänger”, “Stadtarzt”, “Osterinsel”, “Qui sait” u. a., die durch montagetechnische Kombinatorik des Wortes konstruiert sind. Hier bleibt die ehemalige okkasionelle Assoziationskette schon aus. Die Glieder der Assoziationskette, die früher horizontal nebeneinander lagen, strahlen jetzt, ohne in der Wirklichkeit ihre Entsprechung zu finden, jedes einzelne vertikal aus. Man kann wohl verstehen, daß die Montage des logisch nicht Verbindlichen die Funktion hat, die festgefügten Gegenstandsbezüge aufzulösen, aber man muß gestehen, daß man vor seinen Versen ein Praecoxgefühl hat wie vor einem Schizophrenen, denn es reihen sich ganz alogisch, je sogar paralogisch die spezialisierten Vokabulare der Erbbiologie, Archäologie, Physik, Medizin und auch Jargonausdrücke aneinander, zu deren Verständnis selbst der deutsche Leser Fachwörterbücher konsultieren muß. Obwohl man die Bedeutung einzelner Wörter im Lexikon einigermaßen verstehen kann, bleibt der Grund

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