die Deutsche Literatur
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Die Autonomität eines poetischen Sprachraums
-Die poeto-linguistische Theorie von Helmut Heißenbüttel-
HIROO KAMIMURA
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1975 Volume 54 Pages 44-52

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Abstract

In seinen Voraussetzungen sagt Helmut Heißenbüttel, daß Literatur nicht aus Vorstellungen, Bildern, Empfindungen, Meinungen, Thesen, Streit-objekten, “geistigen Gebrauchsgegenständen” usw. bestehe, sondern aus Sprache, daß sie es mit nichts anderem als mit Sprache zu tun babe. Hierin liegt ein bedeutender Wesenszug seiner Theorie und Texte. Aber was heißt es eigentlich, wenn Literatur nur aus Sprache besteht? Von dieser Frage geht der vorliegende Aufsatz aus.
Daß Literatur aus Sprache bestehe, bedeutet nach einer anderen Formulierung Heißenbüttels, daß sie ein Zustand der Sprache sei, oder nach der Textästhetik von Max Bense, daß der sprachliche Zustand ganz und gar der sprachlichen Eigenwelt der Texte angehöre, nicht ihrer nichtsprachlichen Außenwelt, also nicht dem, worüber gesprochen werde. Wenn man von diesem Standpunkt aus Heißenbüttels Texte liest, fällt vor allem Reduktion auf, die zugleich ein Hauptthema eines Essays über Gertrude Stein ist. Im Lexikon hat der Begriff Reduktion zweierlei Bedeutungen: einerseits Verminderung oder Verknappung, andererseits Zurückführung. Bei Heißenbüttel hat er beide Aspekte, die aber nicht voneinander unterschieden, sondern von einer Intention geleitet sind. Denn wenn Heißenbüttel von “Reduzierung der Sprache auf sich selbst, auf ihre Grundelemente” spricht, setzt er schon Verkleinerung oder Beschränkung des Inhalts und Auflösung der Form zugleich voraus, was Sprache auf sich selbst und auf ihre Besinnung zurückführen muß. Bei der reduzierten Sprache Heißenbüttels handelt es sich nicht um Sprache als Vehikel oder Medium, sondern um Sprache selbst. Man erinnere sich hier an eine Bemerkung Heißenbüttels: “Die an der Zweiteilung in Form und Inhalt ansetzende Reduzierung der Sprache auf sich selbst, auf ihre Grundelemente, hat sie ihrem traditionellen Kommunikationscharakter enthoben...” In bezug auf Sprachreduktion müßte man wissen, daß sie vielfältige Erscheinungsweisen aufweist. Außer Reduzierung der Kategorie des Inhaltlichen und Auflösung der Form treten Zerfall eines traditionellen Sprachmodells, Unabhängigkeit der einzelnen Sprachteile, ihre Wiederholung und Kombination usw. auf. Gerade in solcher selbständigen, sozusagen autonomen Sprache liegen Wesenszüge seiner Texte. Daher möchte ich die Grundstruktur seiner Sprache analysieren.
Darauf dürfte man auch hier die von Ferdinand de Saussure aufgestellten drei Grundfragen verwenden: Langue und Parole, Synchronie und Diachronie, Signifiant und Signifié. Im Grunde genommen wäre Heißenbüttels “Sprache” nur von der synchronen Seite zu erfassen, mit anderen Worten, seine synchronen Sprachgedanken gehen immer den diachronen voran. Dies wird z. B. in seinem Vergleich der Literatur des 20. Jahrhunderts mit der des 19. Jahrhunderts deutlich. Heißenbüttel sagt: “Wer heute Balzac oder Fontane als Muster nehmen wollte, könnte dies nur, wenn unsere Welt und ihr sprachlicher Ausdruck in wesentlichen Punkten die gleichen wären wie die unsere Großväter und Urgroßväter. Sie sind es gewiß nicht.” Zweitens, wenn Heißenbüttel poetische Sprache der Sprache als System syntaktischer und grammatischer Zusammenhänge gegenüberstellt, handelt es sich um Parole und Langue. Dieses Saussuresche Begriffspaar könnte man, nach der Terminologie Heißenbüttels, als Sondermodell bzw. Grundmodell umschreiben. Bei ihm müßte Parole weiter in ein alltägliches und ein literarisches Modell eingeteilt sein

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