die Deutsche Literatur
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Über die Maskeraden der Sprache bei H. C. Artmann
OSAMU IKEUCHI
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1975 Volume 54 Pages 53-63

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Abstract

Es gibt die Artmann-Legende. Danach versucht H. C. Artmann, sein Leben bewußt zu stilisieren, aus sich selbst das lebende Kunstwerk eines Dichters zu machen. Alles Mögliche ist er: Surrealist, Volksdichter, Magier, Gaukler, Träumer, Snob und ruheloser Wanderer, nur nichts Rechtes. Ist in der Regel die Person eines Dichters wenigstens teilweise zugleich Schlüssel zu seinem Werk, so ist bei einer so vielschichtig posierenden Figur wie der Artmanns das literarische Produkt in seiner Verschiedenheit Erläuterung, wie er sich begriffen hat. Er schlüpft in jede Rolle. Er beherrscht zahlreiche. Wenn man die eine fixiert, tummelt er sich bereits in der anderen. Eben dichtet er persische Quatrainen, dann wirft er sich den barocken Radmantel um, dann wieder gibt er Dialekt von sich, und danach schreibt er Laut-gedichte. Artmanns umfangreiche Kenntnis fremder Sprachen, vor allem sein Sinn für die Wirkungsbereiche des Wortes und der Wendung, trieben den Prozeß im Sinne fiktiver Stellungnahme zur Wirklichkeit an und führten ihn rasch ins Gebiet höchster Artistik.
Angesichts der ausweglosen kulturpolitischen Situation Wiens nach dem Zweiten Weltkrieg hatte A. Okopenko im März 1951 begonnen, die “Publikationen einer Wiener Gruppe junger Autoren” herauszugeben. Für die sich gruppierenden jungen Schriftsteller war Artmann mit seinen Arbeiten und literarischen Entdeckungen, seiner sprachlichen, auch fremdsprachigen Begabung stets ein wesentlicher Übermittler der literarischen Anregungen und Leitideen. Dabei handelte es sich um ein Verhältnis zur Sprache, das den Wortlaut, ja schließlich den Laut schlechthin gewissermaßen verabsolutierte, eine unbedingte Materialbesessenheit, die das Wort nicht als “Ausdruck” von etwas, sondern um seiner selbst willen suchte. In der Hauptsache vollzog sich dies Unternehmen auf dem Gebiet der Phonetik, und zwar weniger unter der Beachtung des konstruktiven Elements einer lautlichen Folge als einem intuitiven Prinzip, einer durch Assoziation via Phonetik fußenden Semantik. Zum Thema “Wiener Dichtergruppe” soll hier nur gesagt werden, daß ihre Experimente so etwas wie eine Parodie der nachdadaistischen Aktionsliteratur blieben, indem der äußerliche Prunk lediglich die inhaltliche Leere zu decken hatte, wie zahllose Beispiele verraten. Für die Gruppe war Artmann absolut unentbehrlich, Artmann selbst aber begnügt sich hermetisch mit seiner eigenen Art. Schule zu machen, in die Breite zu wirken, verstößt geradezu gegen das Wesen von Artmanns Poesie.
Zwei wesentliche Fakten muß man sich zuvor vergegenwärtigen: Artmanns Verkleidungs-Kunst und seine Sprach-Manie. Wo ein ICH bei ihm zum Ausdruck kommt, ist es immer verkleidet. Sein eigenes Stilprinzip ist die Prinzipienlosigkeit, ist ein akrobatenhaftes Changieren von Muster zu Muster bei durchweg eingehaltener Distanz gegen alle verfügbaren Stilmittel, die seine Strategic ermöglichen hilft. So entsteht, was er “erweiterte poesie” nennt oder “erfindungen” oder “imaginäre gedichte”. Fast allen Gedichten der Sammlung haften inventionistische Manie und Sprach-Spielerisches, aber auch mit den Gegenständen Spielendes an. Offenbar gibt es Situationen, in denen der manierierte Gestus nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig ist, wenn man eine glaubwürdige Spur von sich selbst hinterlassen will. Was H. C. Artmann betrifft, so wird man bei einigem Studium erkennen, daß er mit den Wurzeln seiner poetischen Natur nicht wie es scheint überall, sondern nirgends zu Hause ist. Er spricht nie als er selbst, trägt stets eine literarische Maske. Er liefert Stilübungen voll ästhetischem Raffinement und ironischer Distanzierung von der Wirklichkeit

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