die Deutsche Literatur
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Antike und moderne Literatur in Herders "Fragmenten über die neuere deutsche Literatur“
TERUAKI YAGI
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1977 Volume 58 Pages 47-57

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Abstract

Es ist mein Ziel zu untersuchen, wie Herder in seinem Frühwerk, besonders in den "Fragmenten über die neuere deutsche Literatur“, die antike Literatur erfaßt und von deren Verständnis her die deutsche Literatur seiner Zeit beurteilt hat. Diese Frage bezieht sich auf das Problem der klassischen Kanonbildung und der Geschichtlichkeit der Kunst, das schon in Frankreich in der "Querelle des Anciens et des Modernes“ behandelt worden ist. In der Herderschen Geschichtsschreibung des Altertums erscheinen die Griechen als die ersten Stifter der europäischen Literatur überhaupt. Nachdem die Poesie im griechischen Zeitalter in voller Blüte gestanden hatte, begann sie in der römischen Zeit unterzugehen. In seiner Geschichtsschreibung aber geht es ihm darum, das Verhältnis der orientalisch-ägyptischen Kultur zur Kunst der Griechen zu beschreiben, ohne diese zu kanonisieren. Im Gegensatz dazu hat Winckelmann die griechische Kunst kanonisieren und darum die orientalisch-ägyptische verwerfen müssen. Obwohl Herder die Antike historisch verstanden hat, schätzte er die griechische Literatur als Vorbild für alle weitere Kunst. Alle anderen Kunstepochen vor und nach der griechischen Literatur sind Vorbereiter und Ausläufer.
Den Grund für die Besonderheit der griechischen Poesie fand er in ihrer schönen Natur. Historisch argumentierend erklärte er, daß die Griechen den "rohen Samen“, den sie in Kunst und Wissenschaft von anderen Ländern erhalten hatten, in "ihrem edlen Boden und unter ihrem schöneren Himmel in eine bessere Natur“ verwandelt haben. Ihre schönste Natur bildet das Fundament der griechischen Kunst und verschmilzt mit der Kunst. In dieser Ineinssetzung von Natur und Kunst fand Herder die Überlegenheit und Mustergültigkeit der griechischen Literatur. Andererseits sagt er, daß sich die Natur, die in Griechenland die beste und schönste war, entwickelte, so daß sie in der neueren Zeit ganz anders ist als bei den Griechen. Die Veränderung der Natur entspricht dem geschichtlichen Wandel der Voölker und der Länder. In diesem Sinne bedeutet Geschichtsschreibung Naturbeschreibung. Aus diesen Aussagen Herders kann man schließen, daß es in seiner Naturauffassung zwei Seiten gibt: erstens das normative Verständnis einer ursprünglichen Natur der Goldenen Zeit, die jetzt schon verloren ist, und zweitens das historische Verständnis einer sich wandelnden Natur, die sein Geschichtsbild der Antike bestimmt hat.
Aufgrund dieses historischen Naturbegriffs kann Herder die ungeschichtliche Nachahmung der Natur im Klassizismus nicht billigen und das statische Nachahmungspostulat der Aufklärung überwinden. Anstelle der Nachahmung der Natur empfiehlt er die "Nacheiferung“ der Griechen, um "sich von elenden Nachahmern zu befreien“ und sich schließlich zum unnachahmlichen Original zu erheben. Mit diesem Vorschlag für die modernen Dichter fordert er zugleich die Ineinssetzung von Natur und Kunst, indem sie über ihre eigene Natur reflektieren und ihrer Natur nahe bleiben. Diese Forderung wird auch das wichtige Kriterium seiner Literaturkritik. Eine Kunst, die nur Kunst und nicht Natur ist, vermochte Herder nicht zu billigen, was im Vergleich der griechischen Dichter mit den deutschen Dichtern seiner Zeit in der zweiten Sammlung der "Fragmente“ deutlich wird. Diese Forderung an die neuere deutsche Literatur aber hängt mit ihrer damaligen Lage zusammen, in der es seiner Ansicht nach eine eigenständige Literatur noch nicht gab. In seinem normativen Verweis auf die Vorbildlichkeit der griechischen Literatur sieht Herder die Möglichkeit für die deutsche Literatur, selbst originale Werke zu schaffen.
Das historische Denken

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