die Deutsche Literatur
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Scheitern und Neubeginn in der spätmittelalterlichen Literatur
HARUHISA KOZU
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1986 Volume 77 Pages 1-11

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Abstract

In den Urkunden des 13. Jahrhunderts liest man, wie die Adligen manchmal ihren Landbesitz verpfändeten oder verkauften. Einige machten es aus Not, manche abet auch mit Überzeugung. Die Stadt zog damals viele Menschen mit ihrer relativen Freiheit, ihrer neuen Wohnkultur, ihrer schönen Tracht und seitsamen Waren an. Mit den Kreuzzügen war für die italienischen Städte der Mittelmeerhandel zum Orient eröffnet. Geldwirtschaft und rechnerisches Denken drangen jetzt auch in Deutschland ein. Kaufmännischer Unternehmungsgeist führte die deutschen Städte zu Wohlstand und Macht. Wohlhabende Patrizier, Handelsherren und Handwerker, die im 12. Jahrhundert nicht viel bedeuteten, wurden jetzt mächtiger. Die Geldwirtschaft drang nun unaufhaltsam vor, trieb die alten Ordnungen, vor allem den auf Agrarwirtschaft gegründeten Lebensstil des landsässigen Adels immer weiter in den Verfall. Der Adel siedelte in die Stadt über. Es gab aber natürlich auch die, die sich trotzig dem neuen Zeitgeist verschlossen. Sie mußten als arme Bauern hinter dem Pflug gehen oder als Raubritter an den Straßen von Reisenden Zölle erpressen. Dutch these dreifache Anpassung an die neue Zeit verlor der Adel seine früheren Lebensideale.
Mit dem Tod Friedrichs des Zweiten ging Deutschland in das Interregnum über. Die Einheit des Reichs war zerfallen. Die Pest von 1349 hatte fast ein Drittel der ganzen Bevölkerung Europas dahingerafft. Eine furchtbare Strafe Gottes! Die Menschen wurden Augenzeugen für eine untergehende, sich verändernde Welt. Die alten ritterlichen Ideale, Ehre, Minne, Dienst für Kaiser und Reich verblaßten. Dafür war überall das wirtschaftliche Streben nach Zweckmäßigkeit, nach Erwerb und Vorteil vorherrschend. Die nüchternen, nur in die graue Wirklichkeit gerichteten Augen fanden Bilder, die zur Verzweiflung trieben. In Heinrich Kaufringers Schwänken trifft man auf gehörnte, feige Gatten und schlechte Weiber. Die Lehrdichtung Teichners ist auch eine ebenso pessimistische, illusionslose Beobachtung seiner Zeitgenossen. In der Welt hat er Lüge, Schmeichelei, Zuchtlosigkeit und Verwirrung gesehen. Dies ist der unmittelbare Ausdruck der traurigen Selbstverhöhnung des ausgehenden Mittelalters.
Es ist abet sehr zu verwundern, daß eine Zeitwende so still und wenig aufrührerisch daherkam. Der Wandel von ritterlich-idealer zur bürgerlich-nüchternen Dichtung hatte die Form einer langsamen Umschichtung. Das Alte blieb, während das Neue schon erschienen war, sehr beharrlich im Volk. Die Ritterdichtung mußte, da sie jetzt keinen Nährboden mehr hatte, versinken. Was sie aber geschaffen hatte, überlebte noch Jahrhunderte lang und beschäftigte die Einbildung der späteren Generationen. Das ist eine merkwürdige kulturelle Verschiebung. Während der neue realistische Wirtschaftsgeist der aufkommenden bürgerlichen Schicht noch nicht in der Dichtung des Spätmittelalters seinen richtigen Ausdruck gefunden hatte, versuchte man in ihr die Lebensformen der Ritter nachzuahmen. Die Bürger konnten sie mit dem alten idealistischen Gehalt doch nicht mehr ausfüllen. Die gebildeten Stadtpatrizier und Handelsherren, die jetzt mit der Stadtritterschaft und den hohen Geistlichen in der Stadt verkehrten, wollten das Erbe der staufischen Höfe antreten. Sie pflegten als Mäzene ritterliche Dichtung. Die Dichtung der Adligen, die von Nichtadligen erzählt wurde, war nun aber nur noch eine interessante Materie. Das höfische Wesen wurde von innen nicht nacherlebt. Die Möglichkeit der Literatur für die neue Zeit mußte darin bestehen, statt der idealen Welt, welche in der Dichtung der Stauferzeit vollendet war, eine wirklichkeitsnahe, greifbare Welt zu erschaffen.

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