Abstract
Im Gegensatz zu den drei anderen Romanen-"Erinnerungen einer Überflüssigen“, "Mathias Bichler“ und "Die Rumplhanni“-, von denen jeder in seiner Art anerkannt ist, wurde das letzte Werk von Lena Christ, "Madam Bäurin“ (1919), stets stiefmütterlich behandelt. Als der Albert Langen Verlag die Veröffentlichung der Erzählung ablehnte, zeigte Peter Benedix dafür Verständnis, denn auch seiner Meinung nach hatte sich die Verfasserin hier auf ein Gebiet begeben, wo sie nicht zu Haus war, was notwendig einen Verlust an elementarer Kraft und hinreißender Lebendigkeit mit sich bringen mußte. Gertraud Troll, die sonst die Dichterin sehr hoch schätzt, sagt über dieses Werk: "Lena Christ würde es wohl nicht herausgegeben haben, wenn ihre Not nicht dringend einer Abhilfe bedurft hätte.“ Selbst Günter Goepfert, der ein großer Lena Christ-Verehrer ist, findet die Erzählung, literarisch weniger überzeugend‘ und hat diesem Werk in seinem hübschen Bändchen zu Lena Christ nur wenige Zeilen gewidmet.
Solche Verlegenheitsurteile bzw. Vernachlässigungen hängen sicher mit dem Inhalt der Erzählung zusammen, der an der Wirklichkeit weit vorbeigeht. Nach Adelheid von Gugel ist eine Heirat auf dem Lande, ein Geschäft, bei dem persönliche Gefühle, wenn sie überhaupt mit in Betracht gezogen werden, eine höchst sekundäre Rolle spielen. Es ist ungewöhnlich, daß sich ein Bauer auf Grund einer Verliebtheit mit einem Mädchen verbindet, das nicht seinem Kreis entstammt und von dem er keine Mitgift zu erwarten hat‘.
Ich gebe gern zu, daß "Madam Bäurin“ mit ihren nicht wenigen überzeichneten Szenen im gewissen Sinne nur ein, Unterhaltungsroman‘ (Peter Benedix) ist. Es mag auch stimmen, daß alles darin, lebensfern‘ und, schwerelos‘ (Adelheid von Gugel) ist und infolgedessen auch dem Franz, einer der zwei Hauptfiguren, die, innere Wahrheit‘ fehlt. Ich räume auch ein, daß sie, als Einzelwerk betrachtet, keine große literarische Leistung ist. Aber gerade weil sich Lena Christ hier von der Wirklichkeit gelöst und in einen schwerelosen Raum begeben hat, konnte sie eine ständeversöhnende Utopie entwerfen, wo alles hell und klar ist und jene dunklen Hintergründe nicht mehr durchscheinen, die ihr ganzes Leben und alle ihre früheren Werke wie zwanghaft durchzogen hatten. Ich bin der Meinung, daß "Madam Bäurin“ von daher in Lena Christs Leben und in ihrem Werk einen nicht zu leugnenden Stellenwert hat.