die Deutsche Literatur
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Volume 91
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  • Ein Selbstbildnis im neunzehnten Jahrhundert
    YOJI TSUCHIYA
    1993Volume 91 Pages 1-12
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    In diesem Aufsatz soll versucht werden, das Gedicht "Das Spiegelbild“ von Annette von Droste-Hülshoff so zu interpretieren, daß das Problem ihrer persönlichen Identität erhellt wird.
    Im Titel des Gedichts deutet die Droste schon an, daß es sich hier um ein Selbstbildnis handelt. Dennoch gewinnt dieses Selbstbildnis der Dichterin im Leser sehr schwer Kontur, da sie sich eines Schreibstils bedient, der den Leser im Ungewissen läßt. Alles scheint hier unter "Doppellicht“ (Z. 12) zu stehen. Das ist hauptsächlich auf die eigenartige Sprache zurückzuführen, die zwei Aussageebenen fast verschmelzen läßt. Zuerst müssen die Ebenen aufmerksam sortiert werden.
    Das Gedicht besteht aus einem Monolog des Ichs vor einem Spiegel, d.h. hier spricht nur das Ich. Es spricht aber nicht nur das aus, was es empfindet, sondern auch das, was in ihm assoziativ und imaginär aufkommt. Das letztere wird in zahlreichen Bildern und Vergleichen und im Laufe des Gedichts auch durch den Gebrauch des Konjunktivs zum Ausdruck gebracht. Wenn man versuchsweise das Imaginäre und Assoziative ausklammert, bleibt nur das Empfundene übrig. Auf these Weise können wir das Spiegelbild, das das Ich als Du anspricht, von den Assoziationen und Imaginationen des Ichs frei machen und wissen, was im Gedicht real ist, oder wenigstens als real empfunden wird. Die erste Strophe soll als Beispiel dienen: "Schaust du mich an aus dem Kristall, /Mit deiner Augen (Nebelball, /Kometen gleich die im Verbleichen:) /Mit Zügen, (worin wunderlich/Zwei Seelen wie Spione sich/Umschleichen) ja, dann flüstre ich: /(Phantom) du bist nicht meinesgleichen!“
    Merkwürdigerweise zeigt das Du jetzt wenig Bewegung, während es durch die Vergleiche und später auch durch konjunktivische Ausdräcke den Eindruck hervorgerufen hat, in ständiger Bewegung und Veränderung zu sein. Aber noch merkwürdiger ist es, daß das Du dennoch lebt, bzw. lebendig wirkt. Über diesen Stilzug spricht W. Kayser in seiner Stilanalyse des Zyklus "Heidebilder“ und stellt folgendes fest: "Die von der Sprache der Droste geschaffene Wirklichkeit offenbart sich schon in ihren Gegenständen als mit Wirksamkeit geladen.“ (siehe die Fußnote 8) Das Du des "Spiegelbildes“ lebt wie die Gegestände des Zyklus, der im selben Winter (1841-42) entstanden ist. Eine ausführliche Stilanalyse läßt den Schluß zu, daß das Gedicht Droste-Hülshoffs Begegnung, Auseinandersetzung und Versöhnung mit ihrem Selbst beinhaltet und, daß das Du nicht nur als ein Spiegelbild-Motiv, sondern auch als ein Doppelgänger-Motiv betrachtet werden kann.
    Wenn man diese Ergebnisse im Zusammenhang mit anderen Werken der Droste sieht, z.B. mit dem "Geistlichen Jahr“ und der "Judenbuche“, und wenn man außerdem die Erfahrungen ihrer Jugendkrise berücksichtigt, kann man zum folgenden Ergebnis kommen: die Dichterin sieht ihre Identität als Christin einerseits vom Wissen der Aufklärung und andererseits von den dunklen Kräften der ihr wohl vertrauten volkstümlichen Vorstellungswelt bedroht. Im Du spiegeln sich die beiden widerstreitenden Kräfte, nämlich Volksglaube und Aufklärung wieder, während ihre Stellung als fromme Christin im Ich dargestellt wird. Das Gedicht ist ein Versuch, diese beiden einander widersprechenden Kräften, die die Droste in sich selbst wahrnehmen muß, mit ihrer christlichn Einstellung zu versöhnen.
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  • SHIGESUKE OGASAWARA
    1993Volume 91 Pages 13-23
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    ELS(=Else Lasker-Schüler) schuf manche weibliche Gestalten, um darin sich selbst zu verherrlichen, nicht nur als ein Ebenbild Gottes, sondern auch als eine Ebenbürtigkeit Gottes als sein direkter Nachkomme. Dies geschieht durch eine solche Selbstverherrlichung, daß man dies auch als eine Seltenheit in der ganzen deutschen Literaturgeschichte bezeichnen kann.
    Die tanzende und singende Sulamith, jene Gestalt aus dem Hohen Lied, die Geliebte und Braut Salomos, hier Eben- und Selbstbild ELS', erscheint in "Hebräische Balladen“ als Geliebte Zebaoth-Gottes.
    Die "düstere Tränenschnur“, die wie eine Perlenschnur "sich um den Hals der Welt legt“, verschönert und verherrlicht die singende Eva ("Erkenntnis“): Ihr Leid ist das ganze Weltleid, diese Tränenschnur zu lösen und somit dieses Weltleid zu stillen ist nur dem Singen von Eva, dem Eben-und Geschwisterbild der ELS, möglich.
    Abigail, die erfundene Tochter des tragischen Judenkönigs Saul, spielt als eine letzte in der ganzen jüdischen Heilsgeschichte ihre messianische Rolle ("Abigail“).
    "In Nacht meiner tiefstcn Qual erhob ich mich zum Prinz“. (GW II-534f.) ELS wollte in dieser eigentlich knabenhaften oder androgynen Gestalt, dem Prinzen von Theben, eine unentwegt männliche, sogar eine messianische aufbauen, um damit ihr qual- und leidvolles Leben in der bürgerlichen Gesellschaft der Jahrhundertwende aufzulösen und geistiginnerlich wiederaufzubauen.
    Diese Joseph-Gestalt hat auch viele Gemeinsamkeiten mit den eingangs erwähnten weiblichen Selbstbildern in Bezug auf Selbst-verherrlichung odervergöttlichung.
    Peter Hille hatte ihr schon den orientalischen Titel "Prinzessin Tino von Bagdad“ gegeben, ein Lieblingsbild der Zeit des Jugendstils. Dennoch hat sich ELS entschlossen davon abgewandt und these "männliche“ Gestalt als ihr Zielbild gewählt und erschaffen, worin der wahre Sinn dieser dem Anschein nach spielerischen Tat existiert. Im ganzen Bau der Gedichtssammlung "Hebräische Balladen“, worin die biblische Gestalt Joseph behandelt wird, ist eine Entweiblichung und Abwendung von Familie und Blutsverwandtschaft erkennbar, nur dadurch konnte ELS in der letzten Hälfte der Balladen eine ideale Liebeswelt errichten.
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  • SAKAE HAMAKAWA
    1993Volume 91 Pages 24-33
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    Im Gegensatz zu den drei anderen Romanen-"Erinnerungen einer Überflüssigen“, "Mathias Bichler“ und "Die Rumplhanni“-, von denen jeder in seiner Art anerkannt ist, wurde das letzte Werk von Lena Christ, "Madam Bäurin“ (1919), stets stiefmütterlich behandelt. Als der Albert Langen Verlag die Veröffentlichung der Erzählung ablehnte, zeigte Peter Benedix dafür Verständnis, denn auch seiner Meinung nach hatte sich die Verfasserin hier auf ein Gebiet begeben, wo sie nicht zu Haus war, was notwendig einen Verlust an elementarer Kraft und hinreißender Lebendigkeit mit sich bringen mußte. Gertraud Troll, die sonst die Dichterin sehr hoch schätzt, sagt über dieses Werk: "Lena Christ würde es wohl nicht herausgegeben haben, wenn ihre Not nicht dringend einer Abhilfe bedurft hätte.“ Selbst Günter Goepfert, der ein großer Lena Christ-Verehrer ist, findet die Erzählung, literarisch weniger überzeugend‘ und hat diesem Werk in seinem hübschen Bändchen zu Lena Christ nur wenige Zeilen gewidmet.
    Solche Verlegenheitsurteile bzw. Vernachlässigungen hängen sicher mit dem Inhalt der Erzählung zusammen, der an der Wirklichkeit weit vorbeigeht. Nach Adelheid von Gugel ist eine Heirat auf dem Lande, ein Geschäft, bei dem persönliche Gefühle, wenn sie überhaupt mit in Betracht gezogen werden, eine höchst sekundäre Rolle spielen. Es ist ungewöhnlich, daß sich ein Bauer auf Grund einer Verliebtheit mit einem Mädchen verbindet, das nicht seinem Kreis entstammt und von dem er keine Mitgift zu erwarten hat‘.
    Ich gebe gern zu, daß "Madam Bäurin“ mit ihren nicht wenigen überzeichneten Szenen im gewissen Sinne nur ein, Unterhaltungsroman‘ (Peter Benedix) ist. Es mag auch stimmen, daß alles darin, lebensfern‘ und, schwerelos‘ (Adelheid von Gugel) ist und infolgedessen auch dem Franz, einer der zwei Hauptfiguren, die, innere Wahrheit‘ fehlt. Ich räume auch ein, daß sie, als Einzelwerk betrachtet, keine große literarische Leistung ist. Aber gerade weil sich Lena Christ hier von der Wirklichkeit gelöst und in einen schwerelosen Raum begeben hat, konnte sie eine ständeversöhnende Utopie entwerfen, wo alles hell und klar ist und jene dunklen Hintergründe nicht mehr durchscheinen, die ihr ganzes Leben und alle ihre früheren Werke wie zwanghaft durchzogen hatten. Ich bin der Meinung, daß "Madam Bäurin“ von daher in Lena Christs Leben und in ihrem Werk einen nicht zu leugnenden Stellenwert hat.
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  • Zu Gedichten von Gertrud Kolmar
    REIKO TANABE
    1993Volume 91 Pages 34-45
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    Gertrud Kolmar, geboren 1894 in Berlin, im Jahre 1943 von den Nazis verschleppt und seitdem verschollen, hinterließ keine umfangreichen Werke und auch zu ihren Lebzeiten wurde nur wenig von ihr veröffentlicht. Ihre Werke sind erst nach dem Krieg einem breiteren Publikum zugänglich geworden.
    Wer ihre Gedichte liest, wird zunächst von der Fülle von verschiedensten Farben überrascht, die zum Teil mit den Namen von Edel- und Halbedelsteinen bezeichnet werden, sowie Pflanzen und Tieren mit Eigennamen. Was einen dabei in Verlegenheit bringt, ist nicht nur, daß die dargestellte Natur so exotisch und realitätsfern wirkt, sondern auch, daß man nicht weiß, welcher symbolische Wert jedem Dinge zugeschrieben sein könnte. Offensichtlich ist, daß die Dichterin über breite Kenntnisse der Bibel, verschiedener Mythologien und literarischer Werke verfügt. Sie setzt dabei die ursprünglichen Bilder in ihre eigene Bildersprache um, wodurch eine neue Dimension eröffnet wird.
    Zu stellen wäre zunachst die Frage nach den Bezugspunkten dieser neuen Dimension. Zum einen war das Schicksal der Dichterin eng mit dem Schicksal der Juden verbunden. Die Machtergreifung Hitlers und die Verfolgung des jüdischen Volks wird auch in Kolmars Dichtung thematisiert. Dabei wäre es aber zu einfach, alles auf das Judentum zu beziehen. Nicht zu übersehen ist, daß die Dichterin bei einem jüdischen Frauenbild "Esther“ die Identität der Heldin mit ihrem Volk in Frage stellt. Die Heldentat für ihr eigenes Volk entfremdet sie innerlich von diesem Volk, weil sie dadurch einen Teil ihres Selbst verloren zu haben fühlt. Sie hat sich einer höheren Ordnung unterordnet, die ihr ihr eigenes Gefühl zu töten befiehlt. Aus dieser Abweichung vom biblischen Text wird eine Haltung ersichtlich, sich mit keinem vorgegebenen Identitätsbild, sei es auch das Judentum, zu identifizieren und die Freiheit des Ichs zu bewahren, wenn es auch Wurzellosigkeit bedeuten könnte.
    Dieses Ichbewußtsein, d.h. nirgendwo hingehören zu wollen, zeigt sich sowohl in den Gedichten, in denen Verwandlungen thematisiert werden, als auch und gerade in ihrem Dichtungsprinzip mit Ich-Aussage, in der verschiedene Ichs zur Sprache kommen.
    Durch ein Ich, das sich von der gegebenen Gesellschaft distanziert, wird eine kritische Perspektive ermöglicht. Diese gilt bei Gertrud Kolmar der menschlichen Grausamkeit gegenüber den Tieren. Eine Vision des jüngsten Gerichts der von den Menschen mißhandelten Tiere gegen die Menschen verkündet, den neucn Gott‘, der kein, Menschengott‘ sein wird. Dieser von Menschen willkürlich erfundene, Menschengott‘ war es, der die Massenmißhandlung der Tiere ermöglicht hatte. Daß die, Tiere‘ nicht immer die sogenannten Tiere sind, zeigt uns die Geschichte.
    Der Ausbeutung der Natur durch den Menschen stellt die Dichterin das Gedicht "Legende“ als Gegenbild gegenüber, in dem vom schlafenden Menschen aller Komfort weggezogen und, wie beim Zurückdrehen eines Films, dem ursprünglichen Besitzer/Zustand zurückgegeben wird. Der Mensch steht wie in der Urzeit nackt und allein der souveränen Natur gegenüber.
    In die Urzeit projiziert Kolmar, die sich des weiblichen Körpers und Eros voll bewußt ist, auch die Möglichkeit der unumschränkten Vitalität, Lebenslust und Sinnlichkeit von Frauen. Was die bürgerliche Sitte den Frauen verbietet und wodurch sie von der Gesellschaft abgestoßen werden, genießen die, Troglodytin‘ und die, Druide‘ volikommen. Die, Unerschlossene‘, die von Männern/Zivilisation unbetastet bleibt, bewahrt ihre volle Dignität, wenn das Ich spricht, daß es ein Kontinent sei,
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  • Das Spannungsfeld im Leben und Werk
    MASAKO MIKAMI
    1993Volume 91 Pages 46-57
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    Die Berliner Inszenierung von "Pioniere in Ingolstadt“ im Jahre 1929 war einer der größten Theaterskandale in der Weimarer Zeit. Der Skandal, der durch Brechts Regieanweisung verursacht wurde, lenkte das öffentliche Interesse auf die achtundzwanzigjährige Marieluise Fleißer. Damit war die Autorin aber zugleich auch der Kritik ausgesetzt. Dieses traumatische Erlebnis führte zum Bruch mit Brecht. 1935 heiratete sie den Tabakhändler Bepp Haindl. Die politische veränderte Situation durch den Nationalsozialismus, aber auch persönliche Probleme in ihrer Ehe nahmen ihr die Kraft zum Schreiben. In ihrer "Ingolstädter Vorhölle“ lebte sie isoliert und literarisch völlig vergessen.
    Mit dem Jahre 1968, nach fast vierzigjährigem Vergessen, setzte ihre Wiederentdeckung ein. Junge Dramatiker-besonders seien hier Franz Xaver Kroetz, Rainer Werner Faßbinder und Martin Sperr erwähntstellten sich bewußt in ihre Nachfolgen: Ihr Werk nehme das "Neue Volksstück“ vorweg, indem es die Unterdrückungsmechanismen in der Provinz sowie die sprachliche Verarmung der dort Lebenden bloßlege. Sie allein auf these Vorwegnahme zu reduzieren, bedeutet allerdings, andere Dimensionen ihres Werks auszublenden.
    Das Stück "Pioniere“, das Brecht als eine wesentliche Stufe in der Entwicklung zum epischen Theater ansah und die jungen Dramatiker am meisten beeindruckte, war für die Autorin vor allem "ein Stück zwischen Soldaten und Dienstmädchen“.
    Über ihr eigenes literarisches Anliegen sagt Fleißer: "Ich könnte immer nur etwas zwischen Mann und Frau machen.“ Damit benennt sie das zentrale Thema ihres künstlerischen Schaffens.
    Das Schreiben über "etwas zwischen Mann und Frau“ ist nicht nur literarisch, sondern auch biographisch motiviert. Die Suche nach und zugleich die Flucht vor männlicher Autorität ist prägend für Fleißers Lebensgeschichte und ihre literarischen Gestalten. Zutritt zur literarischen Öffentlichkeit vermittelten ihr stets Männer. Als schreibende Frau uwollte sie mehrfach Grenzen, so die zwischen Mann und Frau, Provinz und Großstadt, überschreiten. Aber vor dem entscheidenden letzten Schritt schreckte sie immer zurück. Ihr Selbstverständnis war dabei nicht frei von traditionellen Rollenmustern. Sie war der Ansicht, daß Theorielosigkeit und Unbewußtheit Wesensmerkmale weiblichen Schreibens seien. Nur mit männlicher Hilfe meinte sie die formale Ausgestaltung meistern zu können.
    Das ist aber nicht so zu verstehen, als babe sie durch die Orienticrung an "männlicher“ Schreibweise auf eigenen Stil sowie eigene Formgestaltung verzichtet. Ihr literarisches Ich ist weitaus kühner und eigenständiger als ihre Selbstaussage. Schreibend nimmt sie Abstand vom Selbsterfahrenen und verwandelt es ins Exemplarische.
    Ihre Ausdrucksweise ist naiv; aber das ist die Naivität des "Hochstaplers“, denn mit dieser Sprache legt Fleißer die Ausbeutung der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft offen, nicht ohne auch die Frauen-sich selbst eingeschlossen-dabei mit zu kritisieren, lassen sie doch eine solche Ausbeutung zu.
    Sprache ist in "Fegefeuer in Ingolstadt“ kein Mittel der Kommunikation, sondern Waffe, ja Marterinstrument, um damit gegen Außenseiter vorzugehen. Der zum Scheitern verurteilte Dialog gilt Fleißer als Beweis für die Inhumanität der Welt.
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  • Vollführung allerlei zauberspruchhafter Widerreden
    YOKO NAITO
    1993Volume 91 Pages 58-69
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    Sarah Kirsch, Jahrgang 1935, stammt aus dem Südharz in der ehemaligen DDR. Ihr Heimatort, der bekanntlich einen Schatz an Sagen und Märchen besitzt, wurde wohl zur günstigen Wiege ihrer phantasievollen dichterischen Welt. Ihre Vorliebe für Pflanzen in Wäldern, Vögel und Tiere zeigt sich konsequent in ihren Texten. Besonders vielerei Pflanzen, die von der Dichterin vertraut genannt werden, stellen sich oft dar als wichtige Wegweiser oder Begleiter zu ihrer poetischen Dimension. Ihre Zuneigung für die Naturwelt führte sie zum Studium der Biologie in Halle. Und dadurch hat sich Sarah Kirsch ihre Genauigkeit der Betrachtung und Beschreibung angeeignet.
    Auf die Frage, wie sie eigentlich zur Literatur gekommen sei, antwortete Sarah Kirsch einmal: "Ich habe einfach so, aus freiem Impetus, zu schreiben angefangen.“ Dieser "freie Impetus“ entfaltet sich am buntesten vor allem in Liebesgedichten, die ihre früheren Gedichtbände, »Zaubersprüche« und »Rückenwind«, elementar charakterisieren. Starke Subjektbezogenheit und Unmittelbarkeit von Ausdrücken der Gefühle gestalten die Einmaligkeit der Dichtung Sarah Kirschs. Ihre originale poetische Intensität läßt sich nicht mit den bestehenden Ismen erklären. Und die dementsprechend formalen Eigentümlichkeiten, wie freie Rhythmen, Interpunktionslosigkeit und häufiges Enjambement, erzeugen die bemerkenswerte Anziehungskraft ihrer Texte.
    »Zaubersprüche« bedeuten in diesem Zusammenhang nicht nur den Titel ihres zweiten Gedichtbandes, sie scheinen auch sozusagen die Schlüsselwörter zu allen dichterischen Gebilden Sarah Kirschs zu sein. Geradezu exemplarisch läßt sich dies am Gedicht »Schwarze Bohnen« darstellen. Dieses Gedicht wurde einmal auf dem Schriftstellerkongreß 1969 in Ostberlin "wegen seines Mangels einer positiven Perspektive“ scharf kritisiert. Aber vier Jahre später auf dem nächsten Schriftstellerkongreß wurde dasselbe Gedicht im temporären kulturpolitischen Tauwetter in der DDR als ein Beispiel für die Vielfalt der ästhetischen Schreibweisen verlesen. Dieser Vorgang zeigt, daß die ideologische Auslegung sowie die kulturpolitische Verwendung der Dichtung Kirschs in Schwierigkeiten geraten. In der Aussage "Nachmittags setze ich den zermahlenen Kaffee/Rückwärts zusammen schöne/Schwarze Bohnen“ erreicht die zauberspruchhafte Wirkung dieses Gedichts ihren Höhepunkt. In dieser scheinbar unsinnigen Behauptung vernimmt man nicht nur den Ton von Trübsal und Verzweiflung des liebesleidenden dichterischen Ichs. Vielmehr kann man auch die einsam und kühn vollgeführte Konfrontation beziehungsweise Widerrede gegen die öffentliche und kulturpolitisch orientierte Sinngebung und Wertung der Literatur vernehmen, an die die Dichter in der DDR gebunden waren.
    Sarah Kirsch gehört zu den zwölf DDR-Autoren, die den Offenen Brief gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung als erste unterzeichneten. Ein Jahr danach, 1977, siedelte sie selbst nach Westberlin über. Sie lebt jetzt in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein, anscheinend fern von der Politik. Aber in den leisen Worten, mit denen sie ihre persönlichen Erfahrungen beschreibt, ist das soziale Bewußtsein immer wach.
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  • YASUKO ASAOKA
    1993Volume 91 Pages 70-80
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    Es verwundert nicht, daß Helga Königsdorf (geb. 1938), Schriftstellerin und bekannte Mathematikerin in der ehemaligen DDR, sich in den meisten ihrer zahlreichen Kurzgeschichten mit der "Gesellschaft der Gelehrten auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet“ befaßt. Wie verschieden die von ihr geschilderten Situationen dabei auch sind-ob es sich um den Widerstand eines anpassungsfähigen Wissenschaftlers handelt ("Der unangemessene Aufstand des Zahlographen Karl-Egon Kuller“), um das Plagiat einer Idee und deren letztliches Authentisieren durch die Mächtigen ("Eine kollektive Leistung“), um das Misogyne von Wissenschaftler-Gruppen ("Der todsichere Tip“)-so geht es doch insgesamt immer nur um eines: um die geschlossene Gesellschaft des Wissens, die vorwiegend Männern vorbehalten und dementsprechend hierarchisiert ist. Jede Erfindung, jede Erkenntnis wird erst durch ihre Anerkennung in der Gesellschaft wirksam, kann sich ohne diese Sozialisierung nicht durchsetzen. Königsdorf hält diese Wissenschaftler(masse) durchaus für verdächtig. Kritisch verfolgt sie, wer diese Gesellschaft vorantreibt und wohin. Auch in den beiden Romanen "Respektloser Umgang“ (1986) und "Ungelegener Befund“ (1990) ist das ihr Hauptthema-in je verschiedener Weise, doch dadurch um so prononcierter.
    In "Respektloser Umgang“ treten das "Ich“, Spiegelbild der Wissenschaftlerin Königsdorf selbst, und die 60 Jahre ältere Physikerin Lise Meitner auf, die als hochintelligente Jüdin gemeinsam mit Otto Hahn, dem späteren Nobelpreisträger, in Berlin an Forschungen zur Kernphysik arbeitete und wegen den Nazis Deutschland plötzlich verlassen und damit ihre idealen Arbeitsbedingungen aufgeben mußte.
    In der Emigration vereinsamt, denkt die Meitner erst jetzt über die Bedeutung ihrer physikalischen Studien nach, denen sie sich schon so lange hingegeben hatte und von denen sie nun ausgeschlossen war. Kurz darauf explodiert in Hiroshima die erste Atombombe, deklariert als Maßnahme, den Krieg schnell zu beenden. Damit gelangt die in fanatischer Konkurrenz vorantreibende Kernphysik an einen Punkt, an dem ein Massaker mit "dem Streben nach Frieden“ begründet wird.
    Die Meitner taucht als Halluzination vor dem "Ich“, ebenfalls einer jüdischen Wissenschaftlerin, auf, um ihr einen geheimen "Auftrag“ zu erteilen: Sie soll die jetzige hemmungslose Entwicklung moderner Technologie zum Stehen bringen und ihre Zukunft nicht zur Vernichtung der Menschen, sondern zu deren Rettung leiten. Das "Ich“ akzeptiert Meitners Auftrag und glaubt an die Notwendigkeit des Umschlags von Quantität in Qualität der Wissenschaft durch neue Erkenntnis.
    Neben Königsdorf befassen sich zwei weitere repräsentative Schriftstel-lerinnen der DDR mit dem Thema Wissenschaftskritik: Christa Wolf in "Störfall“ (1987) und Irmtraud Morgner in "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura“ (1974) sowie in "Amanda“ (1983). Beide äußern ihre Zweifel am bisher männlich dominierten Verständnis von der "Wissenschaft des Fortschritts und der Rationalität“. Bei ihrer Suche nach Alternativen richteten sie die Aufmerksamkeit auf Alltagserfabrungen der Frauen bzw. auf die Welt von Mythos und Phantasie oder Traum, Magie, Alchemie u.a., welche einst als "irrational“ verworfen wurden. Nach der amerikanischen Germanistin Patricia Herminghaus gehe die Wissenschaftskritik von Königsdorf, Wolf und Morgner in die gleiche Richtung wie die der angloamerikanischen Feministinnen. In "A feeling for the organism“ (1983),
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  • Zu ihren Werken um 1980
    NORIHIKO TOMIYAMA
    1993Volume 91 Pages 81-91
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    "Schreiben Frauen anders?“-so lautet der Titel der Dissertation von Christa Gürtler, in der zwei österreichische Schriftstellerinnen, Ingeborg Bachmann und Barbara Frischmuth, behandelt werden. Diese Frage enthält mehrere Probleme, die nicht einfach mit "Ja“ oder "Nein“ beantwortet werden können. Frauen sind körperlich ganz anders gebildet als Männer, d.h. Frauen können schwanger sein und Kinder gebären. Diese Verschiedenheit von Männern und Frauen ist seit Urbeginn der Geschichte der Welt unverändert. Deshalb ist es zwar selbstverständlich, daß Frauen eine ganz andere Schreibweise haben, aber problematisch ist, warum man diese Frage stellen muß und wie man auf diese Frage antworten kann.
    Frauen waren tatsächlich im Laufe der langen Geschichte der Herrschaft der Männer unterworfen, deshalb kann man die Frauenliteratur als eine Dimension der Frauenbewegung ansehen, die seit den 60er Jahren überall in der Welt entstanden ist. In den 70er Jahren versuchten die in der Bewegung gescheiterten Frauen den inneren Raum ihrer selbst anzusehen und auszudrücken. Frauen begannen zu schreiben, indem sie nach "der Identität als Frauen“ suchten. Also könnte man auch die Werke von Frischmuth als Teil dieser Frauenliteratur begreifen. Aber ihre Werke scheinen auch eine andere Schicht zu haben, d.h. Schreiben hat für sie vor allem "therapeutische Funktion“. In diesem kleinen Aufsatz versuche ich die persönlichen Züge dieser Funktion zu beschreiben.
    1974 hat Frischmuth ihren einzigen Sohn Florian zur Welt gebracht. Bis dahin hatte sie zwar schon wichtige Werke wie "Die Klosterschule“ (1968), "Rückkehr zum vorläufigen Ausgangspunkt“ (1973) und "Haschen nach Wind“ (1974) veröffentlicht, aber dieses Erlebnis wurde ihr zum Wendepunkt ihres Schaffens. Durch die Schwangerschaft und das Gebären wurde vor ihren Augen eine neue, mystische Welt geöffnet. Und sie mußte sich auch noch dazu entscheiden, allein mit dem Sohn weiterzuleben, weil sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Sie war eifersüchtig und leidenschaftlich zu lange auf ihren Mann ausgerichtet gewesen, was sie geistig und körperlich fast zu Tode verletzt hatte.
    Durch dieses schwere Erlebnis hat sie die neue Bedeutung des Schreibens entdeckt. Das erste Werk der "Sternwieser Trilogie“, "Die Mystifikation der Sophie Silber“ (1976), ist ein mystifizierter Ausdruck dieser Bedeutung. Der Einladungsbrief, den Sophie von der Feenwelt erhielt, symbolisiert die mystische Erfahrung Frischmuths, d.h. daß in ihrem Körper ein neues Leben entstanden und gewachsen ist. Sophie ist Schauspielerin und entdeckt in der Feenwelt ihre Vergangenheit, die sie schon vergessen, besser gesagt, nie gekannt hatte. Ihr Zurückgehen in die Vergangenheit ist eine Reise zum Ursprünglichen, wo sie die Bedeutung ihres Lebens findet. Im zweiten Werk der Trilogie, "Amy oder Die Metamorphose“ (1978), bedeutet die Metamorphose nicht nur die Verwandlung einer Fee zum Menschen. "Mutter“ zu werden ist die wichtigere Bedeutung der Metamorphose. Amy, die in der Vergangenheit keine Geschichte als Mensch hat, muß als Mutter in der Gesellschaft der Menschen mitleben. In dieser schwierigen Situation findet sie sich zuletzt im Leben als Schriftstellerin wieder, was dem wirklichen Leben Frischmuths entspricht. Im dritten Werk, "Kai und die Liebe zu den Modellen“ (1979), lebt Amy als Schriftstellerin mit ihrem Sohn Kai, dessen Vater Sophies Sohn ist. Kai ist jetzt schon fünf Jahre alt und beginnt sein eigenes Leben als Kind zu entwickeln. Durch die Beziehung zu ihrem Sohn erweitert sich auch die Welt Sophies,
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  • Im Lichte der >Weltchronik< Rudolfs von Ems
    SO SHITANDA
    1993Volume 91 Pages 92-102
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • Die Moderne beim späten Hölderlin
    SHUICHI TANAKA
    1993Volume 91 Pages 103-114
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    In zwei Briefen an seinen Freund Böhlendorff stellt Hölderlin einen Vergleich zwischen der Antike und der Moderne an. Er definiert die griechische Antike als "das Fremde“ und sucht nach einer Möglichkeit, ob die moderne Kultur als "das Eigene“ entstehen kann. Dies bedeutet, daß Hölderlin darauf verzichtete, die Antike als Basis und Ausgangpunkt für eine moderne abendländische Kultur zu akzeptieren und durch die Nachahmung griechischer Kultur die moderne Kultur zu bilden. Aus dieser radikalen Entsagung entsteht der positive Wille, Keime einer neuen "vaterländischen“ Kultur aufzuspüren und zu pflegen. Ganz im Zeichen der "vaterländischen Kunstform“ entstanden dann die sogenannten "vaterländischen Gesänge“, d.h. späte Hymnen. Diese "vaterländische Form“ ist keine in sich vollendete, sondern eine "immerneu“ geschaffene und zu erschaffende Form. "Welches immer ist“ stellt sich im Zeitalter der "vaterländischen“ Kultur nur "im Untergange oder im Moment“ dar, indem das Werden-und-Vergehen im wechselhaften Ablauf des zeitgenössischen Alltags ununterbrochen im Strom der Zeit aufeinanderfolgt. In Hölderlins diesbezüglichen künstlerischen Versuchen ist seine Forderung erkennbar, daß der moderne Dichter die Dichtung als ein eigenes sprachliches Kunstwerk betrachten und gestalten soll.
    Diese "vaterländische“ Kultur weist etliche Gemeinsamkeiten mit Fr. Schlegels "progressiver Universalpoesie“ auf. Schlegel postulierte seine "romantische Poesie“ als eine selbständige moderne Poesie. Sie "ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.“ Er behauptet, daß die moderne Poesie ein konstruktives Prinzip der "modernen ästhetischen Bildung“ haben und dieses Prinzip ein anderes als das der "antiken ästhetischen Bildung“ sein soll; diese stellt "das Objekive, das Allgemeine“ dar und jene "das Subjektive, das Einzelne“. Die Eigentümlichkeiten beider Poesien stehen im schroffen Gegensatz und jede hat ihren eigenen Wert. Überdies sieht Schlegel die "romantische Poesie“ als "die einzige, die mehr als Art und gleichsam die Dichtkunst selbst ist“ an.
    Aber den modernen Eigenwert kann man nicht bestimmen, indem man sich autistisch nur auf die Moderne konzentriert. Denn "je aufinerksamer man (aber) die ganze Masse der modernen Poesie selbst betrachtet, je mehr erscheint auch sie als das bloße Stück eines Ganzen.“ Man muß "ihre Einheit also (sogar) jenseits ihrer Grenzen aufsuchen.“
    Es lassen sich jedoch zwischen Hölderlin und Schlegel einige wesentliche Unterschiede feststellen: Zum einen jagt Schlegel der modernen Poesie als Fragment nach und es gelingt ihm auch, den fragmentarischen Charakter der Moderne fragmentarisch zu beweisen. Auf der anderen Seite will Hölderlin das Universum nicht als Ansammlung eines bruchstückhaften Mikrokosmos verstehen, sondern er versucht in seinen großartigen Hymnen einen an und für sich all-einheitlichen Makrokosmos entstehen zu lassen.
    Die poetische Realisierung der späten Hymnen Hölderlins bildet jedoch die durch seine Pindar-Übersetzung erneute deutsche Sprache, die sich nun in ein verdichtetes, abgeschlossenes System verändert. Solche sprachliche Konstruktionen, unzählige Zusammensetzungen und übermäßiges Betonen des autonomen Charakters der Perioden, bringen das den Hymnen innewohnende bruchstückhafte (fragmentarische) Wesen an den Tag,
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  • Die Stimme aus dem Grund
    KENJI TANAKA
    1993Volume 91 Pages 115-125
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    In dem Notizblatt "3 Gesichtspunkte“, das zum erstenmal in den Gesammelten Werken veröfentlicht worden ist, stellt Johannes Bobrowski, auf seine zwei Gedichtsammlungen "Sarmatische Zeit“ und "Schattenland Ströme“ zurückblickend, den notwendigen Verlust der Heimat in der Gegenwart folgendermaßen dar: "Die im Neolithikum begonnene Seßhaftwerdung der Jäger, Fischer, Sammler, die Inbesitznahme des Bodens, die Bindung an ihn hat bis heute im wesentlichen angedauert. Dieses Zeitalter geht zuende, mit ihm also Vorstellungen wie Heimat, Heimweh, politisch: Nationalstaaten, Nationalbewußtsein, die zu Provinzialismen werden“. Bobrowski hat es für seine Aufgabe als Dichter gehalten, die historische, durch die Invasion der Nazis begangene Schuld auf sich zu nehmen, und die Erinnerung an these Schuld nicht einschlafen zu lassen, wobei er die Möglichkeit des Sich-Erinnerns mit der des lyrischen Kontakts mit der Naturlandschaft identifizierte, in der die Geschichte heimlich aufbewahrt ist. Diese Verbindung der Poetologie mit der Moral durchzieht leitmotivisch die Gedichte Bobrowskis. Wenn er in dem genannten Notizblatt den Verlust einer Heimat formuliert, in der die Menschen ein extrem enges Verhältnis zu ihrem Lebensraum haben, so meint er damit, daß die durch die Landschaft geprägte Geschichte aus dem Gedächtnis verloren geht. In Zukunft würden die Menschen als Gedächtnislose durch die Welt nomadisieren.
    In welcher Weise hat Bobrowski als Dichter versucht, sich mit seiner Sarmatischen Welt zu verbinden? In diesem Zusammenhang sollen die Gedichte "Am Strom“ und "Kloster bei Nowgorod“ untersucht werden, in denen der Hecht sozusagen als Fisch des Erdengrundes, als "Grundfisch“ fungiert. Im Liebesgedicht "Am Strom“ lauscht das "Ich“ einem bewegungslosen Fisch auf dem Grund und begreift dann seinen Wunsch: "Lieber, immer/Sprunglaut hör ich und droben/Flügelschlag. Geh mir nicht fort“. In anderen Gedichten, zum Beispiel in "Gedächtnis für einen Flußfischer“ und "Die Jura“, tritt der "Grundfisch“ als Zeuge der Geschichte auf; so liegt der Schiuß nahe, daß der Fisch im Gedicht "Am Strom“ den innigen Wunsch ausspricht, durch lebhafte Bewegung die in Vergessenheit geratene Geschichte zu erwecken. Das stellt zugleich eine Aufgabe des Dichters Bobrowski dar, der, der Landschaft lauschend, sich die frühere Verbundenheit mit der Heimat in die Erinnerung zurückrufen will.
    Die Kontaktaufnahme des "Grundfisches“ mit der von Leben erfüllten Oberwelt hat auch im Gedicht "Kloster bei Nowgorod“ eine zentrale Bedeutung. Dieses Gedicht soll mit Hilfe seines ursprünglichen Entwurfes, das den Titel "Orthodoxes Kloster“ trägt und sich jetzt im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befindet, analysiert werden.
    Der Grundvorgang in "Orthodoxes Kloster“ ist durch die markanten Choriamben leicht zu erkennen: "Schwer ist der Strom“, "Mondlicht. Gewölk“, "Vögeln durchstürzt“, "Silberner steigt (der Hecht)“. Die neuen Wortanordnungen in "Kloster bei Nowgorod“, zum Beispiel die drei Spondeen, "Strom, schwer“, "aufsteht“, "Wind tritt“, heben den Zusammenhang zwischen Stillstand und Bewegung besonders hervor. In diesem Gedicht scheint der Hecht zwar in Einklang mit dem sich erhebenden Gesang vom Grund aufzusteigen, aber es ist nicht zu übersehen, daß das Adverb "bald“, das im Entwurf an den Beginn der Versgruppe 4 gesetzt worden war,
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  • Robert Walsers Erinnerung an Kleist und Büchner
    FUMINARI NIIMOTO
    1993Volume 91 Pages 126-136
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    Robert Walser schreibt Prosastücke über die sogenannten "unglücklichen Dichter“ wie Heinrich von Kleist, Georg Büchner usw. Diese Prosastücke wurden in der bisherigen Forschung vorwiegend als Beweis für Walsers seelische Verwandtschaft zu diesen Autoren betrachtet. Walsers ambivalente Beziehung zu ihnen ist jedoch, wenn man die für den Anfang des 20. Jh.s typischen Wiederentdeckungen der verkannten Dichter in Betracht zieht, eher als eine methodische Distanzierung und Differenzierung von der damaligen Dichterrezeption zu verstehen. In seiner Berliner Zeit erlebte Walser, wie Kleist und Büchner plötzlich in Mode kamen und dann zu mythologisierten Vorbildern wurden. Kleists 100. Todesjahr (1911) und Büchners 100. Geburtsjahr (1913) wurden hintereinander gefeiert. Angesichts der bis zur völligen Identifikation gesteigerten Verehrung durch die Expressionisten und der romantischen, massenhaften Konsumierung der "unglücklichen Dichter“ durch das Lese- und Theaterpublikum findet Walser es unmöglich, diesen verbreiteten Topos durch einen frühen Tod zu wiederholen. In seinem »Geburtstagsprosastück« (1927) ironisiert Walser sich selber, der nichts anderes kann, als über das Todesalter seiner Vorgänger hinaus weiter zu leben.
    Walsers Dichterporträt ist vieldeutig: Zurn einen gibt es ironisch das damals verbreitete romantische Dichterbild wieder. Zum anderen stellt es wie Büchners »Lenz« auch sein Selbstbildnis dar. Besonders aus Kleist und Büchner macht Walser glückliche Dichter, die sich beweglich der Identifizierung mit dem Unglück entziehen.
    In »Dornröschen« ist Walsers dichterische Krise um 1920 zu erkennen, der gerade den Tod seiner Vorgänger überlebte. "Der Fremde“, der das Schloß vom hundertjährigen Schlaf befreit, wird aufgefordert, er solle seine Gegenwart ordentlich legitimieren. Dabei läßt ihn Walser nicht die Legitimierungssprache sprechen, sondern zwei zitathafte Erkenntnisse, die den Begriff der Legitimation selbst in Frage stellen.
    Erstens erinnert die plözliche Rede des "Fremden“, "Ist Wirkliches nicht auch ein Traum…“, an eine Rede Robespierres in Büchners »Dantons Tod« (Akt I. 6). Dort bringt Dantons Metatheater-Kritik Robespierres Identität als freies Subjekt ins Wanken. In »Dornröschen« beschreibt der "Fremde“ die Struktur der illusionären Selbständigkeit des modernen Subjekts, das sich immer einer unsichtbaren höheren Instant unterwirft. "Wirklichkeit als Trau“ bzw. "die Welt als Theater“ ist zwar seit der barocken Zeit kein seltener literarischer Topos, aber Walser scheint ihn dock von Büchner übernommen zu haben, weil bei beiden Autoren kein Gott mehr hinter den Kulissen steht.
    Zweitens zitiert er aus Kleists Essay »Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden« den Satz: "L'appétit vient en mangeant“, um hinter dem scheinbaren Happy-End auf seine Utopie der Sprache anzuspielen: "L'idée vient en parlant“, die Sprache, die nicht mehr dem Denken, also auch keinem Zweck, untergeordnet ist. Das Drama endet mit dem glücklichen Geschwätz.
    Am dramaturgischen Wendepunkt, nach dem Dornröschen die Gegenwart des "Fremden“ ohne seine Legitimation bejaht, berichtet der "Fremde“ über das "Glück im Tod“ seiner Vorgänger, die vor ihm Dornröschen zu erreichen versucht haben. Darauf antwortet Dornröschen, sie werde immer an die erfolglos Gestorbenen denken. Da geniert sich der Fremde, daß er erfolgreich vor ihr steht.
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  • [in Japanese]
    1993Volume 91 Pages 137-139
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • [in Japanese]
    1993Volume 91 Pages 139-142
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • [in Japanese]
    1993Volume 91 Pages 142-144
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • [in Japanese]
    1993Volume 91 Pages 144-147
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • [in Japanese]
    1993Volume 91 Pages 147-149
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • Aufsätze und Vorträge 1953-1990. Band I. Wilhelm von Humboldts Bedeutung für Theorie und Praxis mode
    [in Japanese]
    1993Volume 91 Pages 150-152
    Published: October 01, 1993
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • 1993Volume 91 Pages 208
    Published: 1993
    Released on J-STAGE: January 30, 2009
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  • 1993Volume 91 Pages 280e
    Published: 1993
    Released on J-STAGE: January 30, 2009
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  • 1993Volume 91 Pages 280d
    Published: 1993
    Released on J-STAGE: January 30, 2009
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  • 1993Volume 91 Pages 280c
    Published: 1993
    Released on J-STAGE: January 30, 2009
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  • 1993Volume 91 Pages 280b
    Published: 1993
    Released on J-STAGE: January 30, 2009
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  • 1993Volume 91 Pages 280a
    Published: 1993
    Released on J-STAGE: January 30, 2009
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