2018 年 156 巻 p. 155-173
Giorgio Agambens Stasis zufolge ist der Bürgerkrieg nicht einfach ein Krieg innerhalb einer Wirtschaftsgemeinschaft (Oikos), noch lediglich unpolitische Wirren. Vielmehr ist er der Politik dadurch elementar immanent, dass das Private plötzlich politisch wird und sich der öffentliche Raum im Gegenzug entpolitisiert, so dass sich in jedem Menschen der Grad des „Politischen“ zwingend offenbart. Deshalb kann niemand eine neutrale Stellung einnehmen und muss selbst die „Freunde“ von den „Feinden“ unterscheiden. Für Agamben ist der Bürgerkrieg seit der Antike demnach eine „Schwelle der Politisierung“ in Extremsituationen. In einem Staat wie der Weimarer Republik, die ihre Legitimität zu verlieren drohte, beschleunigte er den Prozess der Politisierung des Unpolitischen und wirkte als ein Anlass, das gesamte „Politische“ zu rekonstruieren.
In seiner Abhandlung »Nationalismus« und Nationalismus (1929) bezeichnete Ernst Jünger (1895–1998) sich und die revolutionären Nationalisten als „Söhne von Kriegen und Bürgerkriegen“, also nicht nur des Ersten Weltkriegs, sondern auch der folgenden Unruhen in den 20er Jahren. Seine Auffassung der Zwischenkriegszeit basiert auf einer speziellen historischen Auffassung, die unter den radikalen Nationalisten weit verbreitet war. In der historischen Forschung zu den paramilitärischen Organisationen dieser Zeit wird diese Auffassung ausführlich behandelt. Zum Beispiel deutet D. Blasius die Weimarer Republik in seinem Buch Weimars Ende als eine Nachkriegsgesellschaft, die von Anbeginn mit dem „Bürgerkrieg“ konfrontiert war. Die andauernde Konfrontation mit Gewalt und kriegsähnlichen Zuständen erzeugte die politische Atmosphäre eines latenten Bürgerkriegs. Diese Krise prägte das Bewusstsein der Staatsbürger, indem sie Kriegsängste schürte, und förderte den Abbau der jungen demokratischen Republik. Die Zeitgenossen sahen in den paramilitärischen Aufmärschen und Straßenkämpfen Indikatoren dafür, dass man sich schon in einem „Bürgerkrieg“ befinde. Nach H. W. Koch waren es gerade junge Menschen mit einer „nationalrevolutionären Haltung“, die diese Ängste schürten.
Im gleichen Jahr wie »Nationalismus« und Nationalismus erschien Das Abenteuerliche Herz. Erste Fassung. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht (1929). Das Buch ist eine Zusammenstellung von Prosastücken, essayistischen Betrachtungen, autobiographischen Episoden und Traumbeschreibungen. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben allerdings deutlich gemacht, dass man die Texte nicht als einen Bruch mit der vorangegangenen politischen Publizistik Jüngers verstehen darf und dass Jünger ihre Ästhetik sogar in den Dienst eines erhofften radikalen politischen Umsturzes stellen wollte.
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