Robert Musils
Mann ohne Eigenschaften und Thomas Manns
Zauberberg sind
zwei Großromane, charakteristisch für die Weiterentwicklung des Genres in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es liegt nahe, sie systematisch in einer
Reihe von Aspekten miteinander zu vergleichen, was bisher von der Forschung
allerdings kaum getan wurde. Der vorliegende Aufsatz ist auf der
Grundlage eines solchen systematischen Vergleichs entstanden, aus Platzgründen
kann aber nur ein Ausschnitt davon wiedergegeben werden. Für die
Konzeption und Entstehung der beiden Werke ist jeweils die Erfahrung des
Ersten Weltkriegs von entscheidender Bedeutung. Die Zeit der Handlung ist
in beiden Fällen dieselbe, eine Vorkriegszeit, die sich über etwa ein Jahr erstreckt
und in den Krieg mündet, wobei dieses Ende bei Musil erzählerisch
verzögert wird und ausbleibt, so daß der
Mann ohne Eigenschaften Fragment
bleibt, wohingegen der
Zauberberg seinen planmäßigen Abschluß findet. In
beiden Romanen nimmt die Hauptfigur „Urlaub vom Leben“, bei Musil freiwillig,
bei Thomas Mann gezwungenermaßen aufgrund einer Erkrankung.
Dies gibt der Figur bzw. dem Erzähler die Gelegenheit, zu den Zeitläuften
Distanz zu nehmen und sie panoramisch zu re-konstruieren. Beide Zeitromane
versuchen, die zeitgenössischen Denkströmungen und Geisteshaltungen
in ihrer Gesamtheit darzustellen, wobei Thomas Mann weiter in die Geschichte
zurückgreift und ein Erzählgebäude schafft, während Musil vorgängige
intellektuelle Auseinandersetzungen gestaltet, wie sie im frühen 20. Jahrhundert
auf der Tagesordnung waren. Sprachstilistisch fällt auf, daß Thomas
Manns Roman kaum Vergleiche und Metaphern enthält, Musil hingegen
durch eine Vielzahl von oft ungewöhnlichen, kühnen metaphorischen Elementen
den Prosatext poetisch zu vertiefen sucht. Man könnte sagen, daß
Der
Mann ohne Eigenschaften in eine ungewisse, offene Zukunft hineingeschrieben
ist und vielleicht deshalb fragmentarisch bleibt, während
Der Zauberberg die
wesentlichen Strömungen der abendländischen Zivilisation zusammenfaßt, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts allerdings durchwegs in eine Krise gerieten,
vor der Manns Erzählung haltmacht. Musil versucht in seinem Roman,
noch einmal eine (nicht-totalitäre) Utopie zu konstruieren; Mann verzichtet
auf jedes utopische Element. Aus dem Gesagten wird zuletzt einsichtig, daß
sich die beiden Romane vor allem in ihrer Ironie-Konzeption unterscheiden.
Thomas Mann entwickelte für seine Erzählkunst die Strategie einer „objektiven
Ironie“. Bei Musil bleibt Ironie subjektiv, an die Perspektive der Hauptfigur
gebunden, sie ist an diversen Stellen aber auch beißender als die mehr auf
Ausgleich bedachte Ironie im
Zauberberg.
抄録全体を表示