Neue Beiträge zur Germanistik
Online ISSN : 2433-1511
Sonderthema: Technik/Technologie
Von der taktilen Montage zur visuellen Montage
— Eine Studie zu László Moholy-Nagys Fotoplastik und der dadaistischen Montage —
Yasushi HOSHINA
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2022 Volume 164 Pages 91-107

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Abstract

  Der ungarische Künstler László Moholy-Nagy erwähnte in seinem fototheoretischen Aufsatz „Fotografie ist Lichtgestaltung“ (1928) eine eigene Montagetechnik, die sogenannte Fotoplastik, als eine neue Methode für die Gestaltung der Fotografie. Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, Moholy-Nagys Distanzierung gegenüber den anderen Montagetechniken in den 1920er Jahren klarzumachen und die Charakteristika der Fotoplastik herauszuarbeiten. Der Begriff Montage ist einer der zentralen Begriffe in der modernen Kunst, besonders breitete er sich in den 1920er Jahren aus. Der Literaturwissenschaftler Peter Bürger hat gezeigt, dass das montierte Kunstwerk den Schein von Totalität durchbrochen habe. Dies ist ein Beispiel für die Fokussierung auf die aggressive, avantgardistische Dimension der Montage in der bisherigen Forschung.
  In seinem medientheoretischen Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ machte Walter Benjamin ebenfalls auf diese avantgardistische Dimension des montierten Kunstwerkes bei den Dadaisten aufmerksam. Um diesen Charakter des montierten Kunstwerkes zu beweisen, beschrieb Benjamin den Unterschied der Rezeptionsform zwischen traditionellen und dadaistischen Kunstwerken. Benjamin zufolge könne man sich einerseits bei der Rezeption traditioneller Kunstwerke wie der Malerei auf das Gesamtbild konzentrieren, um den Inhalt zu interpretieren. Andererseits habe der Rezipient jedoch einige Schwierigkeiten, den Inhalt eines montierten Kunstwerks zu interpretieren, weil die Dadaisten mit der Montagetechnik versuchten, den Rahmen der Totalität, der eine Voraussetzung für die umfassende Rezeption der Gestaltung dargestellt hatte, zu zerstören. Benjamin bezeichnete diese Eigenschaft dadaistischer Kunstwerke als taktische Qualität. Ähnliches kann man auch anhand von Äußerungen des Dadaisten Raoul Hausmann aufzeigen. So schrieb er beispielsweise, dass „die Fotomontage einen vollkommenen Wandel der Werte bewirkt, sich jenseits der Allegorie stellt“.
  Durch die Aussagen Benjamins und Hausmanns entsteht der Eindruck, dass die Montagetechnik die Zerstörung des traditionellen Wertes des Kunstwerks bewirkt habe. Im Gegensatz zu dieser Funktion der Montage zielte jedoch Moholy-Nagys Montagetechnik in eine andere Richtung. Moholy-Nagy versuchte mit seiner Montagetechnik der Fotoplastik, die Totalität der Gestaltung zu bewahren. Zu beachten ist dabei, dass das Motiv eines durchsichtigen Fensters für die Fotoplastik eine wichtige Rolle spielte. Den Ursprung der Ästhetik des durchsichtigen Fensters kann man bis in die Renaissance zurückverfolgen, als Brunelleschi das durchsichitige Fenster als Metapher seiner perspektivischen Lehre benutzte. Moholy-Nagy montierte die Fototeile auch in einem Rahmen auf, der einem durchsichtigen Fenster ähnelte, sodass der Betrachter die Fototeile als Gesamtsituation visuell wahrnehmen konnte.
  Aus den oben dargestellten Ausführungen sollte man jedoch nicht folgern, dass Moholy-Nagys Fotoplastik altmodisch sei. Die Durchsichtigkeit hat noch eine weitere Bedeutung. Diese Ebene der Durchsichtigkeit hat eine enge Beziehung zur technischen Entwicklung der Fotografie. Besonders die Röntgenfotografie widmete sich der neuen durchsichtigen Welt. Für Moholy-Nagy fungierte die Röntgenfotografie daher als Leitfaden, um die durchsichtige Welt gestaltend dazustellen. Es lässt sich demnach zwei verschiedene Ebenen der Ästhetik von Durchsichtigkeit unterscheiden: einerseits gilt sie als etwas Traditionelles, andererseits als etwas Neues, Technologisches. Dieser doppeldeutige Begriff der Durchsichtigkeit charakterisiert Moholy-Nagys Fotoplastik und bezeichnet die Originalität seiner visuellen Montage gegenüber der taktilen Montage der Dadaisten in den 1920er Jahren.

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