1997 Volume 1997 Issue 48 Pages 257-266
Die Wahrheitsansicht Nietzsches enthält einen Selbstwiderspruch, der zum erstenmal in seinem früheren Nachlaß “Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne” unverkennbar erscheint und auch in seinen späteren Schriften wiederholt auftritt ; die die Erkennbarkeit der Wahrheit und die Ursprünglichkeit der Tendenz zur Wahrheit negierende Aussage ist selbstwidersprüchlich, indem sie selbst ihre Gültigkeit verletzt.
Allein die Vorarbeiten des Philosophenbuchs, zu denen der obenerwähnte Nachlaß gehört, deuten uns an, daß die Selbstwidersprüchlichkeit nur die scheinbare ist ; weil Wahrheit und Lüge sich nurals Begriffspaar setzen läßt, deren Unterschied nur an individuellen Ereignissen sinnvoll ist, besteht die Lüge in der “Wahrscheinlichkeit”, die sich auf die Gewißheit der vergangenen Sachen bezieht. Daher wird es deutlich, daß Nietzsches Wahrheitslehre nicht paradox ist und von uns Lesern nur das fordert, sich als Rückblick der Tatsache des Denkens anzuerkennen.