2016 Volume 90 Issue 3 Pages 75-99
Meister Eckhart redet an verschiedenen Stellen über eine Kraft in der Seele. Diese Kraft, die Gott in seinem bloßen Wesen erfasst, lässt sich als Intellekt verstehen. In der vorliegenden Arbeit soll diese von der Kirche als häretisch verurteilte Lehre ausgelegt werden.
Eckhart zufolge kann man das Erkennen mit der Substanz Gottes identifizieren: Das Erkennen als solches ist unerschaffbar (intelligere est increabile). Es ist aber zu unterscheiden zwischen dem Erkennen als Grundlage des göttlichen Daseins und dem Erkennen als Tätigkeit der Geschöpfe. Der Mensch erkennt zwar mit dem Intellekt; diese Tätigkeit bestimmt ihn jedoch nicht. Daraus folgt: Unser Intellekt als Intellekt ist von aller näturlichen Bestimmung befreit, hat kein Sein, das dem näturlichen Seienden zukommt. Dieser Lehre von der „Seinslosigkeit“ unseres Intellekts liegt das Verständnis zugrunde, dass der Intellekt die Dinge in ihren Ursprüngen erkennt, im Erkennen Gottes. Die Offenheit zu Gott, die unserem Intellekt zuerkannt wird, weist uns darauf hin, dass er das Abbild der reinen Substanz Gottes ist.