Schon seit Mitte der 60er Jahre ist der Theaterbegriff nicht nur in Deutschland in Bewegung geraten und ungesichert geworden. Versuchsweise setze ich hier die Wende zum deutschen Gegenwartstheater im Jahre 1968 an, als überall Studentenrevolten die Welt aufrührten. Zwei Hauptanzeichen machen sich bei dieser Wende in den deutschsprachigen Gebieten bemerkbar: die Diskussion um das, dokumentarische Theater‘ und das Aufkommen des, Straßentheaters‘.
In den 60er Jahren führten die, dokumentarischen Stücke‘ und deren Aufführungen eine Theaterexplosion herbei. Das typischste Beispiel war die 1968 in mehreren Ländern gleichzeitige Uraufführung des
"Vietnam-Diskurs“ von P. Weiss. Die unmittelbare Aktualität und die Zeitgebunden-heit des Stofflichen lagen diesem Boom zugrunde.
Damit verbunden erschienen aber auch zahlreiche Kritiken. Th. W. Adorno stellte in bezug auf die dokumentarischen Stücke die Frage nach der ästhetischen Bewertung. M. Walser gelangte über den Realismus X' zur Forderung nach einem, Bewußtseinstheater‘, das als Gegensatz zum Dokumentartheater zu verstehen ist. Beim
"Brecht-Dialog 1968“ in Ost-Berlin wurden
"Notizen zum Dokumentarischen Theater“ von P. Weiss von den DDR-Dramatikern und Theaterwissenschaftlern hinsichtlich der Beziehung von, Fabel‘ und Faktischem im Drama in Frage gestellt. P. Handke erhob Einwände gegen die Aufführungsform der politischen Stücke;
"Es gibt jetzt das Straßentheater, Hörsaaltheater, das Kirchen-theater, das Kaufhaustheater etc.: es gibt nur nicht mehr das Theatertheater-jedenfalls als Mittel zur unmittelbaren Änderung von Zuständen“.
Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen lassen sich bereits elementare Entwicklungstendenzen des Theaters der 70er Jahre finden, nämlich in Hinblick auf die widerspruchsvolle Beziehung zwischen dem Dramatischen und dem Theatralischen.
Die politisch engagierten Stücke hoben die Grenze des Literaturtheaters und Bühnentheaters auf und brachen dem, Straßentheater‘ und, Freien Theater‘ Bahn; dieses neue Theater zweifelte das
"institutionalisierte Theater“ und die
"elitäre Kunst“ an und trennte sich auf der Suche nach einem neuen Kunstbegriff oder
"Volkstheater“ von der etablierten Theater-tradition. Debei wurde mit der Neigung zum Mitspielen, zur Improvisation und Vermischung der Kunstgenres eine Aufhebung der Grenze zwischen Akteuren und Publikum, Imagination und Praxis, Kunst und Leben angestrebt. 1980 soll es schon über 400 freie Theatergruppen in der BRD gegeben haben, und die Zahl nahm noch zu.
Diese kritische Atmosphäre verursachte in den subventionierten Stadt-theatern Konflikte und Erneuerungsversuche: einerseits die zumeist gescheiterte Bewegung um Mitbestimmung im Theater, andererseits die gelungene Revolte, in bezug auf Perspektive und auf Material, gegen die Spieltradition des Theaters selbst. Typisch für die 70er Jahre war, das Theater der Regisseure‘ wie das eines P. Stein, C. Peymann, P. Zadek, B. Besson. Es brachte eine Welle von, neuen‘ Klassikeraufführungen, Ensembleprojekten wie Revuestücken und die Such-Tendenz nach neuen, Theaterräumen‘.
Gleichzeitig mit dem Hervortreten des Theatralischen trat die Stellung des Dramatischen zurück. Einige Autoren wie P. Weiss, M. Frisch u.a. verließen das Theater als Gebiet ihres Schaffens. Eine Haupttendenz der, westlichen‘ Dramenliteratur, wie sie von F. X. Kroetz, B. Strauß, Th. Bernhard vertreten wurde, wandelte sich vom äußerlichen Realismus, der bereits seit Ende der 60er Jahre bei, Volksstückautoren‘ wie R. W. Faß-binder, M. Sperr und Kroetz zunehmend an Relevanz gewann,
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