"Was
Don Karlos zeigt, ist Höhepunkt und-für Schiller-ein vorläufiges Ende des Familiendramas, eines Dramentypus, der die dramatische Kunst des 18. Jahrhunderts entschiedener mitbestimmt hat als alles andere“. Das ist die Schlußfolgerung von H. Koopmanns
Don-Karlos-Interpretation (1979). Auch ich versuche hier, den
Don Karlos als
"Höhepunkt“ und als
"ein vorläufiges Ende“ zu bewerten, und zwar, anders als Koopmann, in Hinblick auf das Werk als eine organisch-synthetische Verbindung aller Konstruktionselemente des damaligen Familiendramas.
Bei den Familienstücken, die in den 80er und 90er Jahren in Mode waren, kann man nämlich deutlich zwei Formtypen unterscheiden: bei dem ersten handelt es sich um eine bürgerliche oder kleinadlige Familie, die für sich eine kompakte private Welt bildet und schon als solche die kleinste Konspirationsgemeinschaft gegen die öffentliche Welt des hohen Adels und des damaligen Staates überhaupt ausmacht. Hier verteidigt der Hausvater (oft auch die Hausmutter) mit aller Entschiedenheit Würde, Tugend und Ehre der
"keuschen“,
"gesunden“ bürgerlichen Welt gegen die
"tyrannische“ und
"verdorbene“ Adelswelt, und zwar im Bund mit den Familiengenossen. Andererseits ist hier die traditionelle hierarchische Ordnung in den Beziehungen zwischen Hausvater und Familiengenossen, Gutsbesitzer und Bauern, Landesvater und Untertanen und schließlich zwischen Gott und Menschen noch nicht erschüttert. So zeichnet sich dieser Typus durch eine merkwürdige Diskrepanz in der Darstellung der Machtverhältnisse aus: Der Fortbestand der bürgerlichen Familie ist trotz ihrer konspiratorischen Natur gerade durch die bestehende öffentliche Ordnung garantiert. Der Landesvater ist und bliebt Souverän, er gilt als gerecht, weise, gütig, zumindest nicht als von Natur aus böse. Dramaturgisch wurde diese Konstellation verwirklicht durch die Einmischung im negativen oder positiven Sinne vermittelnder Figuren, die in enger Beziehung zum Landesvater oder zum Hausvater stehen: der Höfling oder der Verleumder, der treue Diener oder der treue Freund (z.B. in Großmanns
Nicht mehr als sechs Schüsseln 1780, Schillers
Kabale und Liebe 1784).
Der zweite Typus dagegen verdankt seine Entstehung gerade der Darstellung einer Negation jenes hierarchischen Machtsystems, indem er gerade die negative bzw. destruktive Seite der Standesverhältnisse betont: religiöse Auflösungserscheinungen, Hochverrat, Aufruhr der Bauern und vor allem Rebellion der Familienmitglieder gegen den Hausvater. Merkwürdigerweise bleibt auch bei diesem Typus das Tabu des ersten erhalten. Die Autorität des Monarchen wird nicht angetastet, er ist
"edelmütig“,
"wohltätig“,
"verständnisvoll“, jedenfalls nicht
"unmenschlich“ oder von Grund aus
"tyrannisch“. Die Ursache des Konflikts wird deshalb auch hier erklärt aus dem Dazwischentreten des Intriganten oder des Beschwichtigers, die in einem engen Verhältnis zur Familie bzw. zum Volk stehen. Während der erstere das Volk aufwiegelt, gelingt es dem letzteren, gewöhnlich im fünften Akt, die Stände bzw. die Familienmitglieder auszusöhnen (Schillers
Die Räuber 1780, Ifflands
Die Kokarden 1791).
So könnte der
Don Karlos als der ehrgeizige Versuch des jungen Schiller angesehen werden, eine Vereinigung beider Typen zu erzwingen. Denn in diesem Drama wirken das konstruktive Moment (Don Karlos mit Elisabeth) und das destruktive (Don Karlos gegen Philipp) gegeneinander.
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