Der historische
Faust
, der dem
Faust
-Buch als Modell diente, lebte vermutlich ungefähr von 1480 bis 1540. Von seinem Leben sind mancherlei Berichte überliefert, dennoch haftet dem Bild dieser Persönlichkeit etwas tief Dunkles an, zumal da es schon bei Lebzeiten von viel Sagenhaftem umwoben war. Soviel steht aber fest, (1) daß er ein Zeitgenosse der großen Bewegungen der Zeit, des Humanismus und der Reformation und des Großen Bauern-kriegs von 1524/25, war. Seine Lebenszeit deckt sich fast genau mit der von Luther und Crotus Rubeanus, dem Verfasser der
"Dunkelmannerbriefe“. Er scheint aber von allen diesen Bewegungen ziemlich fern zu stehen. (2) Er führte ein unstetes, abenteuerliches Wanderleben, war in keiner Gesell-schaftsschicht und keinem Kreise fest verankert. Er vertrat einen Typus des
"fahrenden Schülers“, somit war er ein Vorläufer der modernen freien In-tellektuellen. Von diesen Punkten ausgehend habe ich einige Grundzüge der historisch-sozialen Stellung dieser Persönlichkeit herauszuarbeiten versucht.
Von seinem Tod bis zum Erscheinen des ersten
Faust
-Buches (1587) vergeht ungefähr ein halbes Jahrhundert. In dieser Zeit schritt die Sagen-bildung immer fort und Fausts Bild wuchs zu dem des Erzzauberers an. Die Zeiten nach dem Scheitern der Bauernrevolution waren die der -im wesentlichen reaktionären- Reorganisation des erschütterten Feudalismus in Deutschland. Politisch drückte sich dies aus in dem dezentralisierten Landesfürstentum auf Grund der verstärkten Unterdrückung der demo-kratischen Kräfte des Volks. Das wieder zur Orthodoxie erstarrte Luthertum spielte dabei mit seinem Landeskirchentum die Rolle der ideologischen Stütze dieser Verfassung. Die entscheidende geistige Umwandlung der Zeit, die man vereinfachend die Brechung und Umbiegung der Renaissance-Richtung in die lutherisch-reformatorische nennen könnte, ist äußerst folgenschwer, ja verhängnisvoll für die ganze Entwicklung der neueren deutschen Geschichte. Im
Faust
-Buch, einem schlichten volkstümlichen Büchlein, spiegelt sich, wenn auch keimhaft, die ganze Problematik dieser Übergangszeit wider. Besonders sind die Widersprüche der Zeit in den einander widersprechenden und sich vielfach verschlingenden Motiven der Erzählung widergespiegelt, worin das eigentümliche
"Inkommen-surable“ dieses Themas (Goethe) besteht.
Unter diesem Gesichtspunkt habe ich die Hauptmotive der Erzählung etwas zu analysieren unternommen. (1) Das Motiv der
"absoluten Freiheit des Individuums“, die sich in einem radikalen Bruch mit der christlichen Welt gipfelt. Dieses Motiv ist der erste Vorbote des Individualismus der modernen bürgerlichen Zeit, aber auch ein Ansatz zur anarchisch dekadenten Form desselben ist schon bemerkbar. Übrigens verleiht dieses Motiv der Erzählung zum Teil den Charakter einer Schelmengeschichte. (2) Das Motiv des
"unbegrenzten Erkenntnistriebs“. Dieser gerät in grund-sätzlichen Konflikt mit dem Glauben. Es ist charakteristisch, daß der erste Beginn der rational-wissenschaftlichen Haltung des Menschen sogleich mit dem negativen Vorzeichen des
"hochtragenden, fürwitzigen, gottlosen“ Menschen erscheint. (3) Der Erkenntnistrieb wird mit dem Motiv der
"Magie und des Teufelsglaubens“ verbunden. Hier sind die lutherischen Einflüsse besonders deutlich. In der Magie waren damals mit dem Aber-glauben zugleich die ersten Anfänge der Wissenschaft und Technik und die verschiedenen Vorahnungen derselben vielfach vermischt. Aber indem das Luthertum den alten Teufelsglauben wiederaufleben ließ und sogar verstärkte,
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