Beitraege zur oesterreichischen Literatur
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Der zogernde Moses in Agypten : Franz Kafkas Parabel Schakale und Araber und die Frage des Zionismus
Takashi KAWASHIMA
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2008 Volume 24 Pages 19-28

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Die Erzahlung Schakale und Araber, die einen fundamentalen Konflikt zwischen "Schakalen" und "Arabern" in einem arabischen Land darstellt, wurde im Fruhjahr 1917 geschrieben und erschien im Oktoberheft der von dem Kulturzionisten Martin Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude. Dass in diesem parabelhaften Stuck das Judentum thematisiert wird, liegt auf der Hand. Jens Tismar (1975) setzt die sklavenhaften "Schakale" mit dem judischen Volk gleich, indem er darauf hinweist, dass man das Bild des Schakals historisch als Metapher fur die Diaspora-Juden, deren "parasitare" Lebensform im antisemitischen Diskurs immer wieder angegriffen wurde, benutzt hat. An these literarische Tradition, die u.a. auch bei Heinrich Heine, Franz Grillparzer und Adalbert Stifter anzutreffen ist, knupfte auch Franz Kafka an. Diese Erzahlung allegorisiere, so behauptet Dusan Glisovic (1996), daruber hinaus den Streit zwischen judischen Kolonisatoren und wirklichen Arabern in Palastina-was hochst unwahrscheinlich ist, zumal Kafka sie zu einem Zeitpunkt schrieb, an dem, noch vor der Balfour-Deklaration im Winter 1917, die Beziehung der Juden zu ihrem Nachbarvolk viel weniger feindlich erschien als heute. Ohnehin geht es bei dem arabischen Land in der Erzahlung nicht um Palastina, sondern um Agypten, da an einer Stelle das Wasser des "Nil" erwahnt wird. Agypten ist jenes Gebiet, von dem aus die alttestamentarischen Juden unter der FUhrung von Moses nach dem gelobten Land auswanderten. Das Agypten-Bild in diesem Sinne taucht schon in Kafkas erstem Roman Der Verschollene (Amerika) auf: Die Fahrt des Protagonisten Karl Rossmann von der Stadt "Ramses" nach Oklahama [sic] soll laut Bernhard Greiner (2003) den Auszug der Israeliten aus Agypten wiederholen. Auch die "Schakale" in der spateren Erzahlung begehren die Befreiung von der agyptischen Sklaverei, und ihre Hoffnung konnte man im Kontext der zeitgenossischen Situation der Juden in Europa wohl als eine "zionistische" bezeichnen. Der Ich-Erzahler als vermeintlicher Retter der "Schakale" ist somit eine Figur, die die Rolle Moses' in der Gegenwart erneut auf sich nehmen solite. Das Moses-Bild ist in der europaischen Gesellschaft seit der Aufklarung mehrfach Gegenstand der Diskussion geworden. Es funktionierte haufig als Identifikationsbild der Intellektuellen, vor allem bei mehreren judischen Autoren, die zwischen Tradition und Assimilation ihren eigenen Weg finden mussten-und wie Bluma Goldstein (1992) ausfuhrlich gezeigt hat, nicht zuletzt auch bei Franz Kafka, der sich in seinen letzten Tagen immer starker mit Moses als "Volksfiihrer" identifizierte. Obwohl er sich zuerst vom judischen Nationalismus abgestossen fuhlte, nahrte sich Kafka dann spater, insbesondere wahrend des Ersten Weltkrieges, immer mehr der zionistischen Bewegung an; seiner Hinwendung zum Zionismus entsprechend vertiefte sich auch sein Interesse an Moses. Im Jahr 1913 hielt der Prager Zionist Hugo Bergmann einen Vortrag mit dem Titel "Moses und unsere Gegenwart", basierend auf seinem kurz zuvor erschienenen Buch Worte Mosis. Unter den Zuhorern war auch Kafka, und er war tief beeindruckt. Bergmann beschreibt dabei den Kurs der Geistesentwicklung Moses' als Fuhrer seines Volkes, der sich trotzdem stets "zogernd" zwischen Freiheit und Sklaverei, gottlicher Bestimmung und menschlichen Bedurfnissen bewegt. Scott Spector (2000) schatzt Bergmanns Moses-Interpretation als Strategie der "deterritorialisation" ein, wie sie Gilles Deleuze und Felix Guattari (1975) anhand der Sprache Kafkas definierten. Meines Erachtens setzt Kafka dieses Bild von Moses im Motiv des Zogerns in der "Schakale"-Parabel fort, und zwar in einer noch gesteigerten Form. Am Ende der Geschichte fasst der Ich-Erzahler den Arm des "Arabers", der mit der Peitsche die

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